Na? Sind alle auch so schön in „Katarstimung“? Während ich diesen Beitrag schreibe, ist just die Fußball-WM gestartet und ich weiß gerade nicht, was mich mehr bewegt. Die Absurdität dieses Turniers oder die Wortspiele, die ich überall finde. „Infantinos Bindenwahrheit“, „Liebesentzug“ im Zuge der One-Love-Sanktion oder die „Katarstimmung“ am Eröffnungstag. Da ist sie jetzt also, die WM und seit langem greift endlich einmal wieder der Spruch: „Stell dir vor es ist WM und keiner schaut zu.“ Ich bin maximal desinteressiert. So desinteressiert, dass es mir fast schon leidtut, denn mein Sohn schaut sehr gerne mit mir Fußball. Neben Musik und Konzerten gehört Fußball zweifelsfrei zu meinen favorisiertesten Nebensachen der Welt. Der Fußball hat mir – neben der zwischenmenschlichen Liebe – meine schönsten Momente absoluten Glücks geschenkt. Da darf man durchaus behaupten, wir haben eine enge Bindung, der Fußball und ich. Mein Desinteresse ist noch nicht einmal nur politisch oder menschenrechtlich geleitet.
Zuvorderst habe ich einen maximalen Overload an Fußball. Gerade noch in Sevilla die Europa-League gewonnen, dann das erste Mal ins Champions-League-Achtelfinale eingezogen und jetzt schon wieder „Deutschland, Deutschland, olé“. Das ist mir deutlich zu viel und ich fühle mich an ein Kindheitserlebnis erinnert. Da futterte ich einmal zu viel McRib und musste kotzen. Es dauerte Jahre, bis ich mich wieder an einer stinknormalen Barbecue-Soße versuchte. Ich hoffe dieser Fußball-Overkill hält nicht an. Das ist tatsächlich mein erster Grund. Ich bin da nur ehrlich. Ich hätte schlichtweg die Winterpause gebraucht.
Der zweite ist der Austragungsort, die dort herrschende Haltung und die FIFA überhaupt. Da ist an anderen Stellen ausreichend zu geschrieben worden, da braucht es meine Einlassungen nicht zusätzlich. Dabei will ich grundsätzlich festhalten: Weder Katar, Dubai noch sonstige Wüstenmetropolen zählen zu meinen liebsten Reiseorten. Sie reizen mich nicht. Die gelebte Kultur und Haltung dort ist nicht die meine. Ich mag den blankpolierten Reichtum nicht, die Architektur ist mächtig, wirkt aber wenig inspirierend auf mich und außerdem ist es mir da eindeutig zu schwül. Zu schwül, nicht zu schwul. Um auch einen Kalauer in die Debatte zu werfen. Aber ich trage im realen Leben eben auch selten weiße Hosen oder schlürfe tagsüber Champagner. Meine Koordinaten sitzen einfach an komplett anderen Stellen.
Entsprechend bin ich über die massive plötzliche Empörung verwundert, die zwei Wochen vor Turnierstart überall ausbrach. Ja Herrgott! Das muss uns doch allen klar gewesen sein, dass dieses Land nicht pünktlich zum Anpfiff sein jahrhundertelang ausgeprägtes Menschenrechts- oder Frauenbild auf den Kopf stellt. Da ist ja das Verbot von Saufen auf offener Straße noch der kleinste Schaden. Dass dieses Land ratzifatz Homosexualität rattenscharf findet und Frauen in die höchsten Ämter wählt, kann doch niemand ernsthaft erwartet haben. Nur hatten wir fast zwölf Jahre Zeit darüber in den Konflikt zu gehen. Seit der Vergabe nämlich. Wenn – ich erfinde jetzt einfach ein Beispiel – Onkel Fritz seit Jahrzehnten ausgewiesener Nazi ist und zum 80. Geburtstag eingeladen hat, dann weiß ich das doch vorher. Wenn ich aber anreise, ein Hotel für teuer Geld buche, ein Geschenk kaufe, auf der Feier in feinem Wichs erscheine und mich dann wundere, dass besagter Onkel Fritz über Ausländer herzieht, dann habe ich vor allem den Anschlusszug ins Land der Vernunft verpasst.
Fußball ist leider in dieser Ausprägung ein elendiges Geschäft und die FIFA ein ganz schlimmer Verein. Ich habe lange überlegt, ob ich meinen Kindern diese WM vorenthalten will und mich dagegen entschieden. Mein Sohn ist nahezu besessen von diesem Sport und gerade mal sechs Jahre alt. Er darf alle Spiele schauen, die er mag. Es ist seine erste WM und er muss noch nicht politisch sein. Irgendwann ist Katar Geschichte und ich hoffe, wir haben alle daraus gelernt. Ich befürchte allerdings nur, dass sich dieser Fehler wahrscheinlich wiederholt.