Falls es jemanden interessiert, ich war nicht bei Ed Sheeran. Was für mein näheres Umfeld jetzt nichts Außergewöhnliches ist, aber manch anderen da draußen vielleicht doch zur Nachfrage animiert. Denn zwischenzeitlich konnte der Eindruck entstehen, die halbe Welt sei bei ihm zu Gast gewesen und habe die Mobiltelefon-Taschenlampe im Waldstadion angeknipst. Wegen der tollen Stimmung natürlich. Irre, unvergesslich und so. Ed Sheeran ist, so scheint mir, der größte gemeinsame Nenner in diesen bewegten Zeiten in Europa. An der Spitze mit Weltfrieden und Kartoffelchips für alle. Meine Frau meinte zu mir – im Vertrauen einer langjährigen Ehe – ich solle das Thema Ed Sheeran in diesem Format mal besser sein lassen, damit würde ich mir nämlich gar keine Freunde machen und im Zweifel auch noch die Handvoll Leser verprellen, die mir hier treu die Stange halten. Wenngleich ich jetzt gerade etwas nachdenklich werde und mich frage, inwieweit ich „die Stange halten“ überhaupt noch schreiben darf und ob ich damit nicht bereits mittendrin bin in der Sexismus-Debatte. Die war mir bislang zwar ganz und gar nicht wurscht, allerdings habe ich derzeit den Eindruck, wir verlieren uns manchmal im Detail. Aber zur Klärung und bevor ich mich wiederum ganz verliere: Ich habe gar nichts gegen Ed Sheeran. Mir geht Ed Sheeran nämlich hintenrum vorbei. Er ist mir sogar richtig egal. Manche sagen ja, das wäre noch schlimmer. Also wenn einem etwas richtig egal ist, statt wenn man etwas gar und überhaupt nicht mag. Denn bei letzterem Zustand sind ja wenigstens noch Emotionen im Spiel. Ed Sheeran ist mir aber wirklich sehr egal und ich kenne aus dem Stand noch nicht einmal einen einzigen Songtitel von ihm. Ich bin nur verwundert, dass er so viel Zulauf aus nah und fern bekommt, so dass es ihm gelingen konnte, sogar dreimal das Waldstadion zu füllen. Aber solche Phänomene gibt es im Musikbusiness ja schon lange. Ich erinnere in diesem Fall an Chris de Burgh. Für mich ist Ed Sheeran der Chris de Burgh der 2020er-Jahre. Statt „A Lady in Red“ eben jetzt „A Boy in Red“. Und natürlich hinkt der Vergleich, denn Chris de Burgh hätte wahrscheinlich das Waldstadion selbst zu seinen besten Zeiten nicht ein einziges Mal randvoll werden lassen. Aber jetzt höre ich doch mal wieder auf meine Frau und lasse sowohl Chris de Burgh als auch Ed Sheeran jeweils gute Männer sein und pfeife keines ihrer Lieder in den Wind. Und wenn, dann nur „Don’t pay the Ferryman“, denn von Sheeran kenne ich ja nix. Aber apropos Wind und Pfeifen, da komme ich nochmals auf das Thema Sexismus und die zugehörige Debatte zurück. Zumindest irgendwie. Denn während ich nach einem Aufreger suche und Ed Sheeran gedanklich in den Ordner mit den nicht verwirklichten Beiträgen packe, fragt mich die reizende Bettina Bogner, ob ich mich nicht mal zur ganzen WOKE-Thematik äußern mag. Ja Heiland und Grüß’ Gott, da wird mir ja ganz schwurbelig. Ich stehe der Sexismus- und Antidiskriminierungsthematik wie oben erwähnt ja ganz und gar nicht gleichgültig gegenüber. Aber einerseits ist mir zwar der strukturelle Rassismus in dieser Welt mehr als bewusst, andererseits fehlt mir „Winnetou“ 1–3 schon jetzt im Free-TV. Und immer an die Plitvicer Seen fahren ist ja auch keine Lösung. Jetzt gehöre ich aber keiner Minderheit an – also mal davon abgesehen, dass ich nicht bei Ed Sheeran war – sondern bin vielmehr geradewegs mit schlankem Fuß auf dem Weg in den Club der alten weißen Männer. Daher bin ich tatsächlich der allerletzte, der hier Standards setzen kann und auf Traditionen pochen sollte. Ich wuchs eben nur in einer Welt der zwei Geschlechter auf, wohingegen der Sohn einer Kollegin kürzlich das erste non-binäre Kind auf einer Party kennenlernen konnte. Was will ich eigentlich damit sagen und wo liegt die Moral von dieser Kolumne? Jetzt muss ich selbst mal überlegen. Ich verstehe den Hype um Ed Sheeran nicht und ich befürchte, unsere Generation kann das WOKE-Thema nicht mehr ganz erfassen. So leid es mir in beiden Fällen tut. Howgh! Ich habe gesprochen!

Geht aufs Haus 11|2022
Ralph Rußmann hört diesmal nur halb auf die Frauen.