Wann ging es eigentlich los, dass jeder zweite Vogel damit begann, sein Essen penetrant auf allen erdenklichen Social-Media-Kanälen zu posten? Das fragte ich mich mal wieder still und heimlich, als ich entdeckte, dass die Kollegin mit einem Foto ihrer Kürbissuppe furios und offensiv den Herbst einläutete. Na dann. Guten Appetit! Freut mich, dass es schmeckt. Dabei ist sie ist nicht mal der schlimmste Finger in dieser Disziplin. Denn eine Kürbissuppe ist ja noch lange kein Verbrechen. Ganz im Gegenteil. Nur einen Klick später bekomme ich nämlich einen Blick auf den sanft gegarten Seehecht und den Weißwein von einer entfernten Bekannten geschenkt, derweil vor Kurzem ein Vater, gegen den ich im Allgemeinen und im Grundsatz überhaupt keinen Groll hege, jeden Tag in seinem Urlaub mindestens zwei Mahlzeiten in seinen Messenger-Status packte. Auch nicht schlecht.
Dafür kannte ich im Gegenzug den kompletten Essensplan der vergangenen 14 Tage.
Leider wusste ich weder wohin überhaupt die Reiseroute führte, noch ob er alleine, mit Frau oder gleich mit der ganzen Familie am Start war. Dafür kannte ich im Gegenzug den kompletten Essensplan der vergangenen 14 Tage. Burger, selbstverständlich Beyond-Meet, Avocado-Salat, Frühstück mit Sandwich, Hummus, Kircherbsen, Couscous. Dazu Smoothies und andere Säfte. Wohl bekomm’s, auch hier. Leute, wie immer unter uns. Es freut mich, dass es euch allen so gut geht und ihr trotz Krise einen gesunden Appetit habt. Wirklich. Dass ihr Euer Loch im Bauch ordentlich füllen könnt und Geist sowie Körper mit vernünftigem Power-Food in die Balance bringt. Denn die meisten von Euch posten schon lange keinen Rinderbraten und schon mal gar keine Kohlrouladen mehr. Das meiste ist immer schön healthy, fresh und am Ende sogar vegan und detoxed vielleicht sogar unsere wohlstandfetten Körper. Wird auch langsam Zeit. Viel zu lange dümpeln wir bereits in unserer Komfortzone in diesem Land, spachteln verarbeitetes Fleisch und unnötigen Fettkram. Da habt ihr mich im Kern treu an Eurer Seite. Mir fehlt es nur leider etwas an der verflixten Disziplin. Dumme Bequemlichkeit eben! Habe ich hier häufiger bereits erwähnt. Aber gerade deshalb können wir alle mal schön staunen, was ihr so auf den Tisch zaubert. Nur bin ich nicht nur hin und weg, vielmehr verstehe ich den Drang der dauernden Darstellung nicht so ganz. Und sehe vor allem auch keinen rechten Mehrwert für den Betrachter. Soll es mich inspirieren? Ein Appell zum Nachkochen sein? Nur ganz ohne Rezept. Überkommt es euch alle mal eben urplötzlich beim Anrichten, weil die Geschmacksnerven und die Vorfreude auf den feinen Schmackofatz völlig die Sinne benebeln und den Verstand übernommen haben?
Nur einfach politisch korrekter und weniger Macho und peinlich.
Und dann muss es raus in die Welt? Oder soll es einfach nur zeigen, wie sehr ihr kapiert habt, wie wichtig gutes Essen ist, wie gut ihr euch das leisten könnt und wie toll ihr das umsetzt. Ist das Essen-Posten am Ende das neue dicke Auto zeigen. Nur einfach politisch korrekter und weniger Macho und peinlich. Aber unterm Strich der gleiche Mechanismus? Ich weiß, ich weiß, wir haben 2022 und viele zeigen wahnsinnig gerne, was im Leben und auf dem Teller so passiert. Da ist die Kürbissuppe ja noch herrlich einfach und alte Schule. Aber früher haben wir unser Essen doch auch nicht unentwegt fotografiert. Wir haben einfach gekocht, gegessen, den Mund abgeputzt und wenn es gut war, haben wir den anderen davon erzählt, vielleicht haben wir es nochmal gemeinsam zubereitet. Wenn ich ein Essen bildlich festhalte, dann weil ich Angst habe, wir könnten es als Gesellschaft irgendwann einmal vergessen. Beispielsweise ein Rippchen mit Püree und Kraut. Das macht dick, ist ungesund und hilft keinem Schwein, aber es ist Teil lokaler Geschichte und bildlich festgehalten ein kleines Meisterwerk. Wie Kochkäse auf Brot. Puristisch, grandios. Aber diese Bilder behalte ich für mich oder teile sie nur mit meinen besten Freunden. Die posten nämlich allesamt auch kein Essen und kochen stattdessen ausschließlich.