Ich habe eine eigentümliche Beziehung zu Ballermann-Hits. Ich mag sie nicht unbedingt, aber sie üben – ähnlich wie deutscher Schlager – eine irritierende Faszination auf mich aus. So sehr, dass ich selbst welche schreibe. Aber nur für mich. Klammheimlich. Und meist nur Refrains. Veröffentlichen tue ich aber nichts davon. Noch nicht. Und schon mal gar nicht hier. Sonst kommen noch Ikke Hüftgold oder Mickie Krause um die Ecke und klauen mir meine Altersvorsorge. Denn wenn irgendwann mal nichts mehr geht, zünde ich diese Bomben. Sie sind mein ultimativer Plan B, meine Exit-Strategie. Es ist mein „not easy way out“. Für Ballermann-Hits muss ich nämlich jeden Anstand fallen lassen, mein tiefstes Niveau unterbieten und darf mir keine Grenzen im Kopf erlauben. Zu allem bereit. Fortan mit Pseudonym unterwegs. Fremder im eigenen Land. Noch trage ich allerdings genug Würde in mir. Und es kann auch passieren, dass ich meine Zeilen mit ins Grab nehme. Nur ein enger Freundeskreis kennt sie dann als mein Erbe. Ich werde es ihnen zuflüstern, mit dem letzten Atemstoß. Ballermann-Hits erfordern eine feine Mischung aus besonders simpel und sehr dümmlich. Darin liegt ihr besonderer Zauber. Mit dem es ihnen gelingt, eine große Masse an Spacken sowohl im Bierkönig als auch in Après-Ski-Schirmen in Wallung zu bringen. Das ist ihre Kraft. Ballermann-Hits haben nie Saisonpause und sie besitzen immer eine leicht schäbige Doppeldeutigkeit und ein erkleckliches Maß an Sexismus. Und das Besondere ist, dass diese Hits auch Frauen singen. Zumindest unter dieser Perspektive darf befürchtet werden, dass Emanzipation sang- und klanglos gescheitert ist. Oder es ist eine neue Form davon? Seit ich mich mit dem Thema Ballermann-Hits auseinandersetze, war der Tenor vieler Stücke ähnlich. „Dicke Titten, Kartoffelsalat“, „Biste braun, kriegste Frau’n!“, „Geh mal Bier hol’n, du wirst schon wieder hässlich“. Alles Songs, in weiten Teilen von Männern geschrieben, die ausreichend Respekt vermissen lassen. So weit, so wenig Breaking News im Staate Mallorca. Warum aber regen sich ausgerechnet jetzt Feuilleton, Moralapostel und Politik über den Song „Layla“ auf? Das habe ich mich kürzlich gefragt, als die Tage wieder kürzer und die Nächte länger wurden. Sexismus, frauenverachtend! Pfui Teufel! Verboten gehört der Kram. Jaja, ist ja alles recht und gut. Aber Freunde der politischen Correctness, warum ausgerechnet jetzt? Wo wart ihr als Mickie Krause nach „10 nackten Friseusen“ verlangte. Und mit gerötetem Gesicht intonierte „Es gibt 50.000 Weiber, die haben einwandfreie Leiber. Ich will 10 nackte Friseusen, mit richtig feuchten Haaren“. Da ist „Layla“ Kinderkram dagegen. Da geht es lediglich um eine Puffmutter, also eine Frau in Führungsposition, die in diesem Fall „schöner, jünger, geiler“ ist. Später heißt es noch, sie hätte eine „geile Figur, blondes Haar“. Nicht mehr, nicht weniger. Ich will es nicht schönreden. Manchmal überrascht mich allerdings die plötzliche Empörung. Und ich stolpere vielmehr darüber, dass einer der beiden Komponisten behauptet, dass in diesem Song sehr viel Herzblut stecke. Liebe Leute, in Songs wie „Layla“ mag vieles stecken: Lust, schnell Kohle zu verdienen, Bock auf wabernde Bierzeltmassen. Mit dem Herzblut tu’ ich mir da schwer. Noch mehr störe ich mich allerdings an einem Land, in dem es ein solch dummer Song auf Platz eins der Charts schafft. Denn darin liegt das eigentliche Problem der Sache. Diese Lieder werden seit Jahren geschrieben, sie waren nie besser, geschweige denn gehaltvoller. Aber dass die Deutschen dieses Lied im Sommer 2022 von allen Songs am meisten mochten, sagt einiges über den inneren Zustand seiner Bevölkerung aus. Ein Song über eine Puffmutter! In Zeiten des Ukrainekriegs und in der Sommerpause der Pandemie. Und bitte, kommt mir jetzt keiner mit Entbehrung und dem Bedürfnis der Menschen nach Kopffreimachen und endlich auch mal wieder Feierndürfen. Nein! Die Hörgewohnheiten und Haltungen der Menschen in diesem Land sind der wirkliche Skandal. Deutschland, geh mal ganz schnell Bier holen, du bist schon wieder hässlich!

Geht aufs Haus 9|2022
Ralph Rußmann bucht Mallorca und zurück.