Leute, ich weiß, manchmal wäre weniger mehr. Weniger Fleisch, auf Butter und Wurst verzichten, Bier nur am Wochenende, niemals Camembert-Brote nach 22 Uhr und Whiskey schon mal gar nicht. Ich steuere mit nicht mehr schlankem Fuß auf die 50 zu und ich habe aufgegeben, Bandshirts in Größe M zu kaufen. I know. Manche nennen das Kapitulation, ich rufe dagegen: Altersweisheit! Ich weiß halbwegs, was ich noch kann und was gar nicht mehr geht. Das hat auch etwas Befreiendes. Ich spüre keinen Druck, wenn die Schwimmbäder aufmachen. Und wo mancher Mittzwanziger am Beckenrand unter Strom einen auf Dicken macht, flaniere ich selbstgerecht zum Pommesstand. Zumindest an den wenigen Tagen im Jahr, an denen ich ein Freibad besuche.
„Mein Krieg ist vorbei“, will ich mir da am liebsten quer über den Ranzen tätowieren, bevor mir kommt, dass das 2022 kein passendes Zitat mehr ist. Verflixte Political Correctness. Und während ich zumindest auf Mayonnaise verzichte, drückt mich doch ein wenig der Schuh. Denn „völlig aus dem Leim gehen“ ist auch kein Motto für die nächsten Jahrzehnte. Dann läuft am Ende die Frau weg, die Kinder schauen traurig aus dem Fenster und beim „Biggest Loser“ nimmt mich auch keiner mehr. Dann rattert und knattert es im Schädel und von hinten ruft bereits die Fitnesstrainer-Horde, ich müsse nur mal an meinem Mindset arbeiten. „Am Mindset arbeiten“ ist der in Endlosschleife tönende Schlachtruf der ewig fitten und gut gelaunten Feel-Perfect-Personaltrainer. Diese Fitnessmaschinen sind nämlich tagein tagaus bester Stimmung, während sie aus der Hocke acht Meter hoch springen, 20 Meter lange Schifffahrtsseile schleudern und dabei Motivationssprüche rausfeuern, wie der örtliche Discounter Sonderangebote in den Schaukasten hängt. Ich arbeite jedoch sehr ungern an meinem Mindset, manchmal auch zum Ärger meiner Frau. Im Kern finde ich mein Mindset nämlich ganz ok.
Aus Sicht der Fitnessmaschinen arbeiten Typen wie ich am besten an ihrem Mindset, wenn sie vor allem anfangen, die Ernährung umzustellen. Und dann geht’s los: Trinken wir auch genug Wasser und Tee? Wird auf viel stärkearmes Gemüse, auf Eiweiße, die satt machen gesetzt? Alles besser pflanzlich, um entzündungsfördernde Fettsäuren zu sparen und langkettige Kohlenhydrate, die mich möglichst lange satt machen und den Insulinspiegel langsam ansteigen lassen. Natürlich nur gesunde Fette, Wurst und Fleisch ist schlimmer, als mit Waschmittel gestrecktes Heroin. Und Alkohol? Heiliger Bim-Bam, bin ich des völligen Wahnsinns?! Ich habe dagegen bereits bei jedem ärztlichen Anamnesebogen ein schlechtes Gewissen, bei der Frage, ob ich regelmäßig Alkohol trinke. Ich kreuze dann immer „ein bis zweimal die Woche“ an. Denn die Alternativen sind „täglich“ oder „ich trinke keinen Alkohol“. Würde ich die Karten auf den Tisch legen, würde mich jeder Arzt entweder mit einem Gin-Tonic oder dem Infoflyer der Suchtberatung empfangen. Dabei sagte bereits mein Vater früh zu mir „Junge, trink lieber ein Glas guten Rotwein als permanent Coca-Cola“. Würde mich der Arzt fragen, wie häufig ich Cola trinke – drei- bis vier Mal im Jahr wäre die ehrliche Antwort. Aber Cola ist anscheinend nicht mehr richtig schlimm. Rindfleisch und Kartoffeln dagegen schon. Krebserregend, machen träge, fett sowieso und sind schlichtweg so uncool wie ein Urlaub an einem Ostseebadeort.
Nur, dass wir uns hier richtig verstehen: Ich esse nicht jeden Tag Rinderroulade und steige auch nicht allabendlich mit berauschtem Kopf ins Bett. Ich mag veganes Essen und nehme längere alkoholfreie Phasen im Jahr. Zur eigenen Absicherung. Ich gehe regelmäßig Laufen und fahre täglich Fahrrad. Trotzdem wurde ich dicker. Doch dauerndes Low-Carb, Detox und Kalorienhaushalt-Prüfen verspricht mir auch keine echte Lebensfreude. Da könnt ihr noch viele Sit-ups und auf gute Laune machen. Nein. An meinem Mindset lasse ich mir am Ende nicht schrauben. Aber ein Dauerlauf zusätzlich pro Woche wäre auch nicht das Schlechteste.