Kaum bin ich zurück aus dem Urlaub, muss ich meinen Gastgeber bewerten. Ach, was fasele ich von zurück. Wir sind treu auf dem Heimweg, noch 600 Kilometer to go. Aber langsam wäre es an der Zeit für eine Bewertung. Meint zumindest die Buchungsplattform unserer Wahl per Mail. Schließlich gab es bereits Punkte für uns. Natürlich habe ich kurz hinter Mailand nichts besseres zu tun. Bin ich daheim angekommen, werde ich sofort gedrängt, meinen Einkauf eines Dreierpacks Unterhosen auf einer Skala einzuordnen. Damit sie sich verbessern können. Das will die Versandfirma nämlich unentwegt. Sich verbessern und den Service optimieren. „Best Versandfirma all around the World“ werden, vermute ich. Rufe ich beim Kundendienst des Telekommunikationskonzerns meiner Wahl an – weil wir weder ARD noch ZDF empfangen können – werde ich auch gleich gebeten kurz in der Leitung zu bleiben. Ich möge zur erfahrenen Unterstützung eine Rückmeldung geben. Das kann ich nur eigentlich noch gar nicht, ARD und ZDF läuft ja weiterhin nicht. Nur liegt das nicht in der Hand des Servicepersonals. Also bitte, kurz dranbleiben, es sind lediglich zwei Fragen. Das will ich nicht und lege auf. Was mir im Nachgang sogar ein bisschen leid tut, denn die Person war eigentlich in Ordnung und hätte ein gutes Feedback verdient. Für den eigenen Werdegang. Vielleicht will sie noch Teamleitung werden. Oder so etwas ähnliches. Doch leider hängt mir das alles zum Hals raus und deshalb frage ich gewohnt in die Runde: Liebe Freunde und Bekannte, wann ging diese Plage eigentlich los? Diese Penetranz der Rückmeldung? Dass wir immer alles und jeden bewerten sollen, ja nahezu müssen. Denn wir werden ja auch dauernd bewertet. Und was jemand über mich schreibt, will ich am Ende der Zusammenarbeit auch gerne wissen. Erfahre ich aber nur, wenn ich auch meine Einschätzung abgegeben habe. Quit pro Quo. In etwa. Ich könnte mittlerweile den ganzen Tag Sterne und Punkte vergeben, wenn es mir nicht so gehörig auf den Senkel gehen würde. Unterkunft, Unterhosen, Uber-Fahrt, Pizzabringdienst, was weiß ich. Jeden Bockmist muss ich bewerten. Unentwegt. Tagein, tagaus. Meist auf einer Skala von eins bis fünf. Das hat sich anscheinend weltweit bewährt. Eins bis zehn ist zu viel Differenzierung, eins bis sechs erinnert wahrscheinlich zu sehr an Schulnoten. Also eins bis fünf. Das neue Ranking von Hamburg bis Rosenheim, von Amerika bis Zypern. Nur bei den wichtigen Dingen ist kein Feedback von meiner Seite gefragt. „Bitte bewerten sie Ihren Einkauf bei Zalando“, „Bitte bewerten Sie ihren Einkauf bei Amazon“. Ich will aber meinen Einkauf bei Amazon nicht bewerten. Eigentlich will ich überhaupt nicht mal mehr bei Amazon einkaufen. Und würde stattdessen viel lieber Jeff Bezos höchstselbst einmal bewerten. Und seine hanebüchene Aktion sechs Frauen für elf Minuten in den Weltraum zu schießen, aber im Gegenzug seinen Mitarbeitenden keinen ordentlichen Lohn zu zahlen, von den Steuern mal ganz abgesehen. Dafür möchte ich mal Sterne vergeben. Und wenn ich dabei bin, würde ich Katy Perry gerne gleich auch einschätzen. Dafür, dass sie bei solch einer Scheiße mitmacht und dann auch noch sinnfrei fabuliert, sie wolle mit dieser Aktion ein Vorbild für alle jungen Mädchen sein. Vorbild für was denn bitte? Sich im hautengen Astronautenanzug von einem Milliardär in den Weltraum schießen zu lassen? Herzlichen Glückwunsch für so viel Selbstermächtigung, Katy Perry! Dabei mochte ich ihre Hits bislang sogar recht gerne. Jetzt würde es bei mir aber heißen 0 Sterne für Bezos und 0 Sterne für Perry sofort hinterher. Und wenn ich dabei bin, gäbe es noch 0 Punkte für die BILD-Zeitung. Einfach so. Danach fragt mich aber leider niemand. Stattdessen vergebe ich 5 Punkte für meine Unterhosenlieferung und 5 Punkte für unseren Gastgeber im Anschluss. Irgendetwas ist schiefgelaufen in dieser Welt.
Geht aufs Haus 5|2025
Ralph Rußmann vergibt keine Punkte.
