Mittwochs stand ich der Sache noch halbwegs ambivalent gegenüber. Am Gründonnerstag konnte ich den ungebremsten Zorn der Menschen vorm Elbtunnel bereits nachvollziehen. Einen Tag später schwoll mir selbst der Kamm. In ungeahntem Ausmaß. Ein guter Freund schrieb altersmilde auf meine wütenden Kurznachrichten „Auch die Klimakleber haben ihre Berechtigung“. Nur stand der auch nicht im 40km-Stau vor dem Gotthard und war dabei, seine Korsika-Fähre zu verpassen. Ich verharrte mit Frau, Kind und Kegel derweil genau dort. Sieben Stunden in der Schweiz, verpasste meine Überfahrt, musste nachts umbuchen, schlief drei Stunden im Sitzen auf einem italienischen Rastplatz und kam nach 40 Stunden Reisezeit schließlich an. Andere fliegen in dieser Zeit nach Australien. Und fast wieder zurück. Nur mal so. Ich wollte aber nicht nach Sydney, sondern nur nach Nizza. Und das nicht auf eine Pizza, wie in den 80ern die Bayrische Band Relax einfältig sang. Sondern auf ein Boot. Ich weiß. Wohlstandssorgen. Andere Menschen müssen weltweit aus dringlicheren Gründen auf ein Schiff. Doch wäre es nach mir gegangen, hätte man die Truppe, die sich vor der einzig offenen Tunnelröhre mit ihren Ärschen festklebte, mit selbigen und den selbstgestrickten Socken sechs Wochen auf eine schäbige Rasthaustoilette tackern können. Vorher hätte man ihnen noch ihre gebatikten Pumpkappen zum Fraß vorsetzen sollen. Noch während ich das schreibe, entschuldige ich mich gleich für meine Worte. Jeder soll Kappen und Strümpfe tragen, die er oder sie mag. Ästhetik und Geschmack sind wie ein freier Vogel, der sein Nest bauen kann, wo immer er Lust verspürt. Es ist nur der wilde Zorn, der mich hinterrücks packt und mich zu fiesen Kommentaren und Maßnahmen treibt. Mir ist nämlich das Klima auch sehr wichtig. Ich habe zwei Kinder und kein Interesse, nur Schutt und Asche zu hinterlassen. Außerdem weise ich treu darauf hin: Wir fahren im Alltag tagaus tagein allesamt Fahrrad, vermeiden nahezu jede Flugreise und kaufen bevorzugt fair produziertes Essen und Kleidung. Nur mal so. Ich vermute sogar, das Klima war auch den meisten Menschen im Stau nicht egal. Das Problem ist aber, dass sie allesamt ebenfalls gerne in den Urlaub wollten. Selbst die linksgerichteten und ökologischsten unserer Freunde fliegen regelmäßig in fremde Länder und brettern dort über Stock und Stein. Da geht es den Menschen wie den Leuten und ich bin der letzte, der den Stab bricht. Der wurde allerdings am Gotthard über mir geknickt. Völlig wurscht, was ich sonst so treibe. Und genau hier gabelt sich der Weg am Monte Scherbelino. Diese ganze bekackte Kleberei hilft nämlich der Sache keinen Furz weiter. Das ist leider so. Denn ich verwette einen goldenen Hut, dass keine einzige Birne aus diesem Stau nach dieser Sperre sein Verhalten ändern wird, was ja Ziel und Zweck dieser Aktionen sein soll. Oder habe ich was verpasst? Sogar ganz im Gegenteil. Denn schlussendlich vermischt sich die Wut auf die Aktivisten immer mit einem diffusen Hass auf das ganze Thema Klimaschutz. Klingt leicht verwegen, ist aber so. Menschen haben in ihren Denkmustern gerne einen an der Klatsche. Genauso wenig wie mich militant-penetrante Veganer final ganz von der Wurst wegbekommen, schafft es auch kein Kleber, eine Verhaltensänderung bei SUV-Panzerfahrern zu bewirken. Sind die Tunnel verbarrikadiert, steigen alle aufs Flugzeug um. Wollen wir wetten? Aus tiefstem Herzen empfehle ich von daher, mit der Kleberei sofort aufzuhören! Dieser Schuss geht gewaltig nach hinten los. Glaubt mir. Denkt euch sinnliche und – noch besser – humorvolle Aktionen aus. Bringt die Leute zum Lachen, dann zum Nachdenken. Ich helfe auch mit. Zerstört keine Gemälde oder schönen Gebäude. Lasst die Menschen in den Urlaub fahren und macht sie nicht noch zorniger, als sie es eh schon sind. Ich habe doch selbst gespürt, was die Kleberei mit mir macht. Das Einzige, was sie bei mir bewirkt, ist, dass ich zukünftig die Schweiz weiträumig umfahre. Eine einzige Tunnelröhre! Jesus. Die haben doch nicht alle Tassen im Schrank, die Eidgenossen. Noch behämmerter als die Klimakleber.
Geht aufs Haus 5|2023
Ralph Rußmann verpasst sein Schiff.
