DIE RÜCKKEHR DES MAULAFFS
Lutz Walter ist ein Phänomen. Eine Type. Ein bunter Hund. In Dresden bekannt dafür, dass er selten die Uni von innen sah, im sächsischen Riesa als legendärer Besitzer des Kult-Imbisses „Dicke Nudel“ sowie als derjenige, der sich im grellen Scheinwerferlicht von Boxer René Weller die Nase polieren ließ. Zur Freude zahlreicher ostdeutscher Mitbürger, versteht sich. Doch Lutz Walter wäre nicht Lutz Walter, brächte er nicht auch Wessis zum Gaffen. Bei den Aschaffenburgern fängt er an: der kultige Maulaff kommt ihm da gerade recht …
„Wenn ich gewusst hätte, wie schwierig es ist, das Maul so aufzureißen, hätte ich lieber einen Bordellbetreiber verkörpert“, schmettert Lutz Walter in einem sympathischen Gebräu aus Sächsisch mit feiner Berliner Note in den Roßmarkt. Dabei steckt die Freundschaft zwischen den beiden Urgesteinen noch in den Kinderschuhen: Auf der Suche nach Aschaffenburger Persönlichkeiten machte der 62-Jährige nicht nur mit Brentano, sondern auch mit dem Maulaff Bekanntschaft. Den Aschaffenburg-Ring, den es exklusiv im Atelier seiner Frau Irina Esser zu erwerben gibt, sollten nämlich nicht nur Schloss und Pompejanum zieren, sondern auch bekannte Söhne der Stadt. Dabei fand der Lebenskünstler Gefallen an der Kultfigur, schlüpfte im Mai erstmalig in Lederhose und Schnallenschuhe und klopfte so an die Tür des Oberbürgermeisters …
Passenderweise war just der Startschuss des „Sommer in Aschaffenburg“ gefallen und Walter für die Interessengemeinschaft „Rund um den Roßmarkt e. V.“ als Maulaff engagiert. Seitdem ist er jeden Samstag zwischen 11 und 12 Uhr in der oberen Herstallstraße sowie zu voller Stunde im Roßmarkt in unmittelbarer Nähe zur Sandkirche anzutreffen. Dass der 62-Jährige Gefallen an lebendigen Innenstädten gefunden hat, muss er längst nicht mehr betonen: Als kritischer Bürger Riesas fütterte er stets die lokale Presse. Über 15 Jahre pinselte er zudem gesellschaftskritische Statements an die Tafeln an der Außenwand seines Imbisses „Dicke Nudel“ und sprach damit oftmals aus, was keiner öffentlich zu sagen wagte. Schnell wurden die schrägen Sprüche des „Nudel-Walters“ ein Stück Stadtkultur – verdienterweise ging 2002 der Riesaer „Kultur-Riese“ an den gebürtigen Berliner, der – zumindest zeitweise – Dresdner Unibänke gedrückt, gekellnert, im Stahlwerk gebuckelt, an Zapfsäulen gewerkelt und Schuhe verkauft hat, bevor er als Obst- und Gemüsehändler jene Lokalität bezog, die später die „Dicke Nudel“ werden sollte. 2006 folgte dann die „Karriere“ als Boxer: Keinen Geringeren als den neunfachen Deutschen Meister René Weller rief er zu sich in den Ring, ließ sich von ihm die Poren lüften und bescherte den Riesaern so ein Event, von dem sie wohl noch immer träumen.
Heute lebt Walter in Rödermark – und ist auf dem besten Weg, die Aschaffenburger mit seiner Straßenkunst zu erobern. Eine halbe Stunde dauert es, bis der Rentner in die Haut des Maulaffs geschlüpft ist – vor allem das Schminken koste Zeit: „Meine Visagistin, meine Frau, macht jeden Tag ihr Gesicht – aber nur samstags meins …“, schmunzelt er. Die Reaktionen der Flanierenden seien durchweg positiv – die meisten seien ganz fasziniert von der detailgetreuen Darstellung des Originals, das Walter kürzlich „ABM“, AschaffenBurger Maulaff, getauft hat. Jede Woche verewigt er „Lebensweisheiten, Erfahrungen oder Dummheiten“ auf schwarzen Tafeln, die er am Maulaffschen Stock befestigt. Zu lesen gab es unter anderem bereits „Ich bin der Maulaff! Wer bist DU??“, „235 Jahre ist UNSER Maulaff – nur die Sphinx ist älter“ oder „Welch Glück: Unser Maulaff ist aus Holz. Es schwitzen nur seine Holzwürmer“. „Ideen habe ich noch viele auf Lager“, verkündet der Aktionskünstler. Und Lutz Walter wäre nicht Lutz Walter, würde er dieses Versprechen nicht auch in die Tat umsetzen.
Aschaffenburger Maulaff: Als Maulaffen bezeichnet man seit dem Mittelalter kopfförmige Halter, in deren offenes Maul man Kienspäne, kleine Stücke harziges Holz, steckte. Seit dem 15. Jahrhundert wird unter Maulaffe ein Gaffer verstanden – eben einer, der mit offenem Mund dasteht und gafft. Der Aschaffenburger Maulaff, eine fast lebensgroße Figur aus Eichenholz von 1778, stellt in karikierender Form einen Bauern in Spessart-Tracht dar und ist im hiesigen Schlossmuseum zu bestaunen. Ursprünglich diente er der Kurfürstlichen Hofgesellschaft im Park Schönbusch zur Belustigung.
