Ist das Kunst oder kann das weg? Heutzutage wird man geradezu überschüttet von medialen Angeboten. Seien es drölf verschiedene Streamingdienste in nahezu jedem Bereich, oder tausende selbst ernannte Meisterliteraten, die meinen, sie seien der nächste Tolkien. Wer soll bei dieser Reizüberflutung noch durchblicken? FRIZZ präsentiert die (nicht mehr ganz) neue Reihe des hauseigenen Volontärs …
Das grundlegende Prinzip
Dieser Magaziner vereint Monat für Monat meine persönlichen Favoriten der gängigen Kultur. Das Konzept ist recht simpel: In jeder Ausgabe picke ich von mir bereits konsumierte mediale Güter heraus, die ich als empfehlenswert erachte und philosophiere humoristisch aber auch analytisch über deren Grundzüge, rezensiere die Handlung und spezifische Merkmale, die sie als besonders herausstechen lassen. Inbegriffen sind dabei die Rubriken Film, Serie, Musik und Literatur. Die Kategorien sind am Konzept des Magazins orientiert. Man könnte sagen, es handele sich um ein „Mini-FRIZZ“. Nur halte ich mich nicht daran, ausschließlich kommende Veröffentlichungen zu besprechen. Vielmehr ist „Føbs Favourites“ als Sammlung subjektiver Schätze – egal ob 100, 50, 20 oder zehn Jahre alt – erdacht und aufgebaut.
5 Zimmer Küche Sarg
Wie sieht eigentlich der Alltag in einer stinknormalen, vierköpfigen, neuseeländischen Vampirwohngemeinschaft aus? Das im Original „What We Do in the Shadows“ betitelte Stück Comedy-Gold beschäftigt sich mit genau dieser Frage. In der Mockumentary – also eine komödiantische Scheindokumentation, in der die Kamera eine aktive Handlungsrolle einnimmt und die Figuren regelmäßig die vierte Wand durchbrechen – erhält man einen Blick in das alltägliche Zusammenleben der wirklich enorm unterschiedlich alten Vampire Viago, Vladislav, Deacon und Petyr. Diese wohnen am anderen Ende der Welt in Wellington und machen sich als tatsächliche Blutsauger einen Scherz daraus, die gängigen Klischees, Mythen und Volksmärchen zu befüttern, dabei aber gleichzeitig Mainstreamgenrevertreter sämtlicher Epochen aufs Korn zu nehmen. Die Kamera begleitet sie bei einer ausführlichen Roomtour, beim Umgang mit menschlichem Besuch in ihrem Heim, bei der Diskussion, ob eben dieser auf der Speisekarte steht und wenn sie sich auf den Weg machen, die Welt der Clubgänger und Barbesucher im Wellington’schen Nightlife unsicher zu machen. Immerhin sind auch Vampire ab und an in Feierlaune und benehmen sich unter Alkoholeinfluss gar nicht so unähnlich zu stinknormalen Menschen.
Modern Family
Ebenfalls zur Gattung Mockumentary zählend, ist die in elf Staffeln ausgestrahlte Serie eine der erfolgreichsten TV-Hits überhaupt. Im Mittelpunkt steht die Patchwork-Familie Dunphy-Pritchett-Tucker, die mit ihrer vielschichtigen Zusammenwürfelung quasi jedweden modernen Gesellschaftsteil beinhaltet: Die typische amerikanische Kleinfamilie, multinationale zweite Ehen mit Stief-Eltern-Kind-Beziehungen und LGBTQ-Pärchen, die ein Kind aus Fernost adoptieren. Eine „Modern Family“ eben, die ähnlich wie die oben genannten Vampire in Interaktion mit der Kamera Klischees, Normen und Vorurteile humoristisch und zuweilen überspitzt aufgreifen, aber eben auch durch die Integration ins normale Leben dekonstruieren und nahbar machen. Die Serie wurde über einen Zeitraum von elf Jahren abgedreht und vermittelt durch das Altern der Familienmitglieder ein authentisches Bild von einer Familie, die gemeinsam viele Herausforderungen und Probleme meistern muss, dennoch viele schöne und lustige gemeinsame Momente sowie Dramen erlebt.
Alt-J – An Awesome Wave
Fun-Fact: Drückt man auf einer englischsprachigen Mac-Tastatur die Kombination „Alt + J“ erhält man das Zeichen für Delta, was der Form eines Dreiecks entspricht und in der Mathematik eine Differenz, einen Unterschied markiert. So ähnlich ließe sich auch der Signature-Klang der Band beschreiben. Alt-J ist einfach anders, als alles, was man bis dato kannte. Alternativ im wahrsten Sinne des Wortes. Angefangen beim ungewöhnlich nasalen Gesang, der zeitweise ins Nuschelnde abdriftet, aber im selben Moment eine hypnotisierende, in den Bann ziehende Wirkung auf den Hörer hat, über experimentelle Kombinationen aus Pop, Folk und Synthesizer-Einschüben bis hin zu Taktspielereien, die jedoch niemals in Disharmonie ausarten. Obwohl die gesamte Diskografie mit einer außerordentlich hohen Qualität gesegnet ist, steht das Debütalbum der Briten mit den grandiosen Songs „Breezeblocks“, „Something Good“, „Matilda“, „Fitzpleasure“ und „Taro“ aus meiner Sicht an oberster Stelle.
Yoko Tawada – Sendbo-o-te
Die japanische, deutschsprechende und in Berlin lebende Autorin empfand das 2011 stattgefundene Reaktorunglück in Fukushima wie viele ihrer Landsleute als verheerendes und vor allem warnendes Ereignis. Ihre literarische Verarbeitung der Thematik trägt den Titel „Sendbo-o-te“: Im Katastrophenroman hat sich die in nicht allzu ferner Zukunft agierende Gesellschaft Japans maßgeblich durch eine Katastrophe verändert. Der asiatische Staat hat sich gänzlich vom Rest der Welt abgeschottet. Die Alten werden durch genetische Veränderungen immer älter und seltener krank, während die jungen nachkommenden Generationen zunehmend pflegebedürftig, gesundheitlich angeschlagen und gebrechlich geboren werden. Es ist üblich, dass die sogenannten alten Alten sich um ihre jungen Nachfahren kümmern und gleichzeitig die Wirtschaft irgendwie am Laufen halten. So auch Yoshiro, dessen Urenkel Mumey zwar von Tag zu Tag schwächer wird, aber dennoch eine überraschende Fröhlichkeit und Zufriedenheit an den Tag legt, denn vielleicht kann er als sogenannter Sendbote im Rahmen eines geheimen Forschungsprojekts im Ausland der Menschheit helfen. Der Roman ist eine kritische Auseinandersetzung mit Schuldfragen und -gefühlen im Zusammenhang mit der Verantwortung der einzelnen Generationen füreinander – und dementsprechend gerade heutzutage so relevant wie nie.
