Jeder Krieg auf der Welt ist schlimm. Punkt. Der Krieg in der Ukraine hat für uns alle aber irgendwie nochmals eine andere Bedeutung, denn wir werden aktuell auch in Deutschland mit den direkten Auswirkungen konfrontiert. Gestörte Lieferketten, knappe Güter, Preissteigerungen, Energiekrise, Angst. Und doch, auch das gehört zur Wahrheit, geht es uns immer noch sehr gut im Vergleich zu Gebieten, in denen auch schon vor Corona und Putin die Lage ernst war. Darauf hat der ONE DAY e.V. jüngst in einer Reihe von Posts in den Sozialen Medien aufmerksam gemacht – denn der Verein hat sich voll und ganz der Hilfe für die ärmsten Menschen in Afrika verschrieben. Wir konnten mit der Vereinsvorsitzenden Saskia Schmidt über die gegenwärtige Situation reden.

© Till Benzin
Saskia-Schmidt
FRIZZ Das Magazin: Wie sehr wird Afrika durch den Krieg in Europa zusätzlich gebeutelt?
Saskia Schmidt: Heruntergebrochen kann man sagen, dass in Afrika Ähnliches passiert wie bei uns oder auch in anderen Ländern: Die Preise steigen und das Klima verändert sich. Und doch gibt es massive Unterschiede, denn bei uns sind in fast allen Fällen die Auswirkungen vielleicht unbequem und ärgerlich, aber tragbar. Man schnallt den Gürtel enger, konsumiert vielleicht bedachter. In Afrika kosten diese Veränderungen aber Menschenleben, denn der Einfluss multipliziert sich für Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben. Ich weiß, man liest das jetzt hier und es ist alles weit weg, aber wir haben wirklich große Sorgen vor Ort und ich bin gerade sehr aufgewühlt. Wo es erst nur Worte der Angst waren, die ich aus Afrika bekommen habe, muss ich nun leider feststellen, dass diese Worte, hinter denen immer Schicksale und Menschen stehen, bereits dramatische Folgen hatten. Demos zu den nochmals gestiegenen Lebenshaltungskosten forderten Todesopfer, die Wut der Menschen richtet sich gegen die Regierung, die ihrerseits wiederum mit Ausgangssperren und der Abschaltung des Internets reagiert. Die Menschen fühlen sich alleingelassen und sind verzweifelt, Regierungsgebäude und Autos brennen und wir haben richtige Angst, dass die Lage vor Ort kippt. Mich macht dieses ungerechte Weltgeschehen echt wütend.
Jeder liest von fehlenden Weizenlieferungen …
Die Ukraine ist großer Weizenlieferant und die dortigen Häfen wurden über Monate durch den Krieg blockiert. Das hat man ja auch hier mitbekommen. Laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) liefern Russland und die Ukraine zusammen 44% des Weizenbedarfs des afrikanischen Kontinents. Einige Länder sind aber zu 100% von diesen beiden Staaten abhängig und müssen nun Weizen teuer auf anderen Märkten einkaufen. Was aber wirklich unfassbar ist: Menschen leiden Hunger und das Essen liegt eigentlich auf Schiffen parat. In solchen Momenten verstehe ich die Welt nicht mehr. In Somalia, Äthiopien und Kenia leiden Menschen Hunger und diese Lieferungen würden tatsächlich Leben retten, wenn sie dort ankämen, wo sie gebraucht werden.
Welche Länder und Regionen sind besonders betroffen?
Wir sind in Sierra Leone und Kenia aktiv, diese Länder sind sehr betroffen. Sierra Leone ist ein Acht-Millionen-Einwohner-Land und mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar pro Tag. (etwa 1,22 Euro). Im Herbst 2021 sind die Lebensmittelpreise laut des monatlichen Lebensmittelpreisindizes der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) um fast 33% gegenüber des Vorjahrs gestiegen. Öl, Getreide – das nun auch noch in Häfen liegt, anstatt bei den Menschen zu sein – Fleisch oder sogar Zucker sind unerschwinglich geworden. Das alles hat ja aber nicht nur mit dem Krieg zu tun, sondern der Klimawandel bringt da auch noch eine verheerende Ebene mit rein. In Somalia, Äthiopien und Kenia hat der eigene Anbau kaum noch eine Chance, die Verknappung der Güter führt auch hier zu steigenden Preisen. Ich finde das schrecklich. Manchmal schäme mich fast, so privilegiert zu leben. Mich plagt manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn wir happy am Esstisch oder am Main bei einem friedlichen Picknick sitzen. Ich versuche aber dieses Gefühl in Dankbarkeit zu verwandeln, dass wir so leben dürfen und auch in Motivation und Tatendrang, weiter an unserer Mission zu arbeiten, die Welt ein bisschen besser zu machen. Sonst belasten einen auch all die Ereignisse zu sehr.
Neben der Aufklärung und Sensibilisierung ist direkte Hilfe euer größtes Anliegen? Was wollt ihr genau jetzt tun und wie sehen eure Ideen zur Hilfe detailliert aus?
Direkte Hilfe ist natürlich bei solch einem globalen Thema für einen kleinen Verein wie uns schwierig. Nichts tun, ist aber auch keine Option. Offen gesprochen, kotzt es mich an, dass, um zu helfen, wiederum „einfach mehr Geld“ notwendig sein wird. Wir sprechen von einer Inflation von 24% in diesem Jahr in Sierra Leone! Dürre, steigende Lebensmittelpreise, begünstigt durch Pandemie und den Krieg in Europa, treiben die Kosten in unerwartete Höhen. Wir versuchen also einen Ausgleich zu leisten und gewisse Preiserhöhungen abzufedern, um das Leben dort erträglicher zu machen.
Was können wir tun, um euch und somit die Menschen in Afrika zu unterstützen?
Was uns tatsächlich am meisten hilft, ist eine monatliche Unterstützung in Form einer Patenschaft und natürlich freie beziehungsweise wiederkehrende Spenden. Dabei gibt es verschiedene Modelle, bei der die Höhe oder der Verwendungszweck definiert werden können. Beispielsweise ob nur speziell ein Kind oder ganzheitlich das Projekt HOPE gefördert werden soll. Auch bei unserer Arbeit vor Ort haben wir mit den explodieren Preisen und den knappen Gütern zu kämpfen und wissen manchmal gar nicht, wie das zu stemmen sein soll. Oder ihr besucht uns in unserem Laden im Roßmarkt. Hier kann man shoppen und einen Kaffee trinken und mit jedem Einkauf tut man etwas Gutes. Zum Beispiel finanziert man mit dem Kauf eines Shirts Mahlzeiten für die Kinder, Malariabehandlungen oder auch eine Dose Babynahrung. Das stärkt und hilft uns im Projekt.
Was steht neben der aktuellen Hilfe Afrika vs. Ukraine als nächstes noch bei euch auf der Agenda?
Wir haben einige tolle neue Ideen für 2023 im Gepäck, zum Beispiel einen Charity-Flohmarkt – act local think global. Der soll richtig cool werden, mit richtig nicen Ständen und chilligen Beats. Aber nicht nur das, er soll zum Beispiel auch gesellschaftliche Themen wie zum Beispiel unser Konsumverhalten beleuchten und erklären, warum uns Kleiderspenden in Afrika zum Beispiel nicht helfen. All diejenigen, die sich an uns richten und eine Möglichkeit suchen, Second-Hand-Kleidung sinnig abzugeben, sind hier nun also herzlich eingeladen, vorbeizukommen und mitzumachen. Die Standgebühr fließt dann direkt in unser Projekt und alle Teilnehmenden können auch noch entscheiden, einen Teil der Einnahmen zu spenden. Der Termin und die Location stehen noch nicht, aber wir geben das zeitnah bekannt.
FRIZZ Das Magazin dankt für das aufschlussreiche und wie immer nette Gespräch.