Foto: Till Benzin
DIE SEIFENBLASENMEDIZIN
Gelb-orangefarbener Lidschatten, knallroter Lippenstift und pinkfarbene Strumpfhose – jetzt noch schnell in den weißen Ärztekittel schlüpfen. Aber wo ist eigentlich der Seifenblasenbehälter? Ohne den geht schließlich gar nichts! Auch die roten Clownsnasen aus Schaumstoff dürfen auf keinen Fall fehlen. Wenn alles parat ist, kann die Visite beginnen – die kleinen Patienten der Aschaffenburger Kinderklinik warten schließlich schon so sehnsüchtig auf die ulkigen Doktoren …
Die sechsjährige Irem und die vierjährige Franziska drücken sich an den Glastüren der Kindertagesklinik schon die kleinen Nasen platt: Die beiden Doktoren dort sehen so anders aus – so herrlich bunt! Beide Mädchen haben Glück im Unglück: Müssen sie schon einen Tag im Krankenhaus verbringen, ist es zumindest ein Donnerstag. Denn an diesem Wochentag besuchen die KlinikClowns die kleinen Patienten und bringen bunte Abwechslung auf die Stationen.
Ein Klinikaufenthalt ist schon für Erwachsene unliebsam, für die Kleinen ist solch eine Zeit aber noch viel schlimmer: Sie müssen nicht nur auf das Lernen in der Schule, sondern auch auf das Spielen mit Freunden verzichten. Vor allem fehlt der ganz normale Familienalltag, aus dem sie so plötzlich herausgerissen wurden. Im Krankenhaus wartet dann nicht nur ein fremdes Bett, sondern auch eine kühle Atmosphäre. Krankenhausflair eben – auch wenn die Station so farbenfroh wie möglich gestaltet ist. Eine Klinik ist nun mal kein Kinderparadies. Schmerzen und Heimweh plagen die Knirpse – bis die KlinikClowns an die Tür klopfen und darum bitten, hereingelassen zu werden: Dann beginnt eine fantasievolle Reise in eine schmerz- und sorgenfreie Welt. Doch viel zu schnell enden diese Minuten. Das beklagt auch der sechsjährige Felix (oben): Er durfte nicht nach einem Tag nach Hause wie Irem und Franziska. Deshalb ist sein Lachen ein besonders befreiendes, das auch seine Mama ansteckt.
Nicht nur die Eltern, sondern auch die (echten) Doktoren spüren, dass die kleinen Patienten dank der Clowns neue Kraft und Mut schöpfen und den Klinikalltag fortan noch tapferer meistern. Dr. Jörg Klepper, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, weiß die Visiten seiner rotnäsigen Kollegen sehr zu schätzen: „Dank des Atmosphärenwechsels werden die kleinen Patienten zufriedener gesund.“ Mittlerweile ist es sogar wissenschaftlich erwiesen, dass Lachen eine positive Auswirkung auf den Heilungsprozess hat: Das Immunsystem wird gestärkt, Schmerzen gelindert sowie Herz und Kreislauf gekräftigt – somit sorgen die Doktoren mit den roten Nasen nicht nur für die Bildung von Glück bringenden Endorphinen im Körper, sondern auch für neuen Lebensmut.
Gestatten: Dr. Baby & Dr. Nieswurz
Die Idee der Besuche von Clowns in Kliniken entstand Mitte der achtziger Jahre in den USA und schwappte zehn Jahre später nach Europa – zusammen mit Laura Fernandez. Die gebürtige New Yorkerin ist seit über 25 Jahren Clown – „aus Überzeugung!“ Sie brachte nicht nur die Idee nach Deutschland, sondern initiierte auch die ersten Clown-Visiten. In Aschaffenburg ist sie als Dr. Baby zusammen mit ihrer Kollegin Hanna Linde als Dr. Nieswurz im Einsatz. Wahrhaftig, als Duo sind die beiden perfekt eingespielt. Da weiß der eine längst, welche Lachgaranten der andere in petto hat. Beiden ist es ein Anliegen, das Bewusstsein für den Humor als heilendes Instrument zu stärken. Nach einer halbstündigen Vorbereitung, die das Umziehen und das Schminken beinhaltet, und nach einem einführenden Ritual sitzt die Haut als Clown perfekt – jetzt muss nur noch der akute physische und psychische Zustand der Kinder erfragt werden. 35 bis 40 Kinder besuchen Dr. Baby und Dr. Nieswurz pro Visite. Für die Clown-Doktoren ist es sehr wichtig zu erfahren, ob das jeweilige Kind deutsch versteht, wie alt es ist und welche Krankheit es hat. Aus diesem Wissen entwickeln beide ihr improvisiertes Spiel – individuelle Lachtherapie sozusagen.
Einen routinierten oder immer gleichen Ablauf gibt es nicht. Die ausgebildeten Clowns stellen sich auf jede Situation neu ein – eine stete Herausforderung. Ob Seifenblasen, Jonglage, Zaubertricks, Handpuppen oder Gegenstände im Zimmer: Alles kann in das Spiel einbezogen werden. „Grenzen gibt es sehr selten, höchstens, wenn ein Kind zum Beispiel gerade sehr, sehr traurig oder lustlos ist. Doch gerade dann muss man als Clown ganz Profi sein“, erklärt Hanna Linde.
Deshalb ist es von immenser Bedeutung, dass ein KlinikClown sorgfältig ausgewählt und im Laufe der Zeit auch immer wieder auf Eignung überprüft wird. Die Darsteller müssen zum Beispiel nicht nur clowneske Improvisationskunst aufweisen, sondern auch soziales Einfühlungsvermögen besitzen. Eine künstlerische Ausbildung, Empathie und Teamfähigkeit sind obligatorisch. Regelmäßige Workshops begleiten die potentiellen Akteure auf dem Weg zum ersten Auftritt, auf dem sie sich auch basistherapeutisches Wissen aneignen.
In Aschaffenburg sind insgesamt sieben Clowns im Einsatz – bayernweit sind es fast 60. Der Verein KlinikClowns e. V. wurde im Herbst 1997 in Bayern gegründet und ermöglicht seit 1998 regelmäßige Besuche von Clowns in bayerischen Kinderkrankenhäusern und Senioren- und Pflegeeinrichtungen, die durch Spenden, Sponsoring, Benefizveranstaltungen und Mitgliedsbeiträge finanziert werden. In der Regel werden jeden Donnerstag die Aschaffenburger Kinderklinik und Kinder- und Jugendpsychatrie (seit Mai 2007) sowie das Seniorenwohnstift St. Elisabeth (seit Juli 2007) in unmittelbarer Nähe zur Großmutterwiese bespielt – das Schweinheimer AWO-Seniorenheim Bernhard-Junker-Haus (seit September 2008) 14-tägig, immer mittwochs.
Auch im Seniorenheim sind die Clowns gern gesehen: Gerade den Menschen, die ans Bett gefesselt sind und an den angebotenen Aktivitäten nicht mehr teilnehmen können, bescheren sie heitere Momente. Jedoch ist auch hier enormes Einfühlungsvermögen gefragt: Wie geht es dem jeweiligen Bewohner heute? Wie ist sein Gesundheitszustand? Die Clowns bringen allerdings nicht nur Abwechslung in den Heimalltag, sondern fördern auch Gedächtnis sowie Beweglichkeit und bringen neuen Lebensmut. Oftmals sind die Clowns zudem wichtige soziale Kontakte. Und nicht selten fiebern die Senioren dem nächsten Besuch eifrig entgegen …
Doch zurück zu Dr. Baby und Dr. Nieswurz: Die beiden eilen von Zimmer zu Zimmer, damit keiner der kleinen Patienten zu kurz kommt. Zwischendurch müssen da auch mal die rote Schaumstoffnase gerichtet, die bunten Filzblumen auf dem weißem Ärztekittel sortiert und die knallbunte Holzperlenkette zurechtgerückt werden. Doch dann klopfen die Doktoren schon an der nächsten Tür – und von innen ruft die zehnjährige Nele voller Vorfreude: „Herein!“