©Michael Seiterle
Foodsharing
Es ist alarmierend: Mit allem, was wir Aschaffenburger so im Laufe eines Tages an Nahrungsmitteln wegschmeißen, könnten man die Stadt gerade noch einmal versorgen. Das zu ändern ist das Ziel einer kleinen Gruppe von „Essensrettern“, die jeden Dienstag Foodsharing-Abende anbietet. FRIZZ Das Magazin hat die Veranstaltung besucht.
Es ist ein trister Dezemberabend in Aschaffenburg. Vier junge Frauen rücken Tische, schleppen Kisten, richten Nahrungsmittel an und hantieren mit Eimern und Postern. Fast könnte man meinen, man habe eine geheim gehaltene Filiale der Weihnachtswichtel entdeckt. Was geht hier vor? Die vier Frauen gehören zu einer Gruppe von zehn bis 15 sogenannten „Foodsavern“ aus Aschaffenburg. Diese „Essensretter“ haben sich der Initiative Foodsharing angeschlossen, die unter dem Motto „Fair teilen“ steht und sich einem ebenso bekannten wie ärgerlichen Problem unserer Wohlstandsgesellschaft angenommen hat: Dem Verschwenden und Wegwerfen von Lebensmitteln.
Seit etwa zweieinhalb Jahren sammeln die Foodsaver Essen von den Kooperationspartnern ein und retten die Lebensmittel so vor der Tonne. Partner sind Supermärkte, Bäcker, Gemüsehändler und Cafés, die ihre übrig gebliebene Ware zur Abholung bereitstellen. Die Engagierten holen das Essen dort ab und retten es vor einem unwürdigen Ende im Müll. Es ist schon beeindruckend, was Sandra Knüppel, Katharina Seubert, Alex Kern und Marie Adler (v.l.n.r.) alles in den Fairteilersaal bringen: Brötchen, Brokkoli, Chinakohl, Salatköpfe, Drachenfrüchte, Mangos, Dutzende Packungen von Trauben, frische Kräuterbündel, Rettich, Brot, süße Stückchen, eine ganze Lage voller Gurken, Mandarinen, Brezeln. Gut und gerne 150 Kilogramm Nahrungsmittel kommen an diesem Abend auf den Tisch. Erst einmal sortieren die vier das aus, was nicht mehr verwendet werden kann – das ist aber nur minimal. 95 Prozent der abgeholten Ware ist vollkommen in Ordnung und kann bedenkenlos verzehrt werden. Sie ist eben nur nicht mehr gut genug für den Verkauf. Dann wird angerichtet: Mit Hingabe und auch dem Blick für das mitessende Auge werden die Waren thematisch sortiert auf die Tische verteilt, die hier in U-Form aufgebaut sind. Erst das Gemüse, dann das Obst, schließlich Brot, Brötchen und Süßes. Draußen im Vorraum warten die Kunden schon geduldig auf die „Ladenöffnung“.
Dann, gegen 20 Uhr, geht es los. Alex platziert noch die roten Foodsharing-Eimer auf dem Packtisch, Sandra hat noch ein selbstgemachtes Plakat mit den Regeln dabei und Marie hält die Begrüßungsansprache vor den mittlerweile 50 Wartenden. Jeder darf eine Nummer ziehen und die Zahlen werden dann einzeln aufgerufen. Die Ersten nehmen sich einen der roten Eimer und gehen wie im Supermarkt an der Auslage vorbei und packen Lebensmittel in ihre Eimer. Damit für alle etwas bleibt, darf man zunächst nur einen Eimer füllen. An der „Bäckertheke“ bedient Alex freundlich die Kunden: „Körnerbrötchen oder weiße? Vielleicht noch etwas Süßes dazu? Heute gibt es auch Stollen!“ Die fast 100 Brötchen sind heute auf zwei pro Person rationiert – die Nachfrage ist groß. „Viele kommen oft wieder“, sagt Katharina, „die meisten sind erschüttert, wenn sie sehen, wie viel Essen von bester Qualität einfach weggeschmissen werden soll.“
Viele Gäste sind begeistert und greifen gerne zu. Omas mit Rollatoren sind genauso dabei wie junge Mütter mit Kindern – die Altersspanne reicht von sechs bis 80. Dabei ist es keineswegs so, dass das Angebot nur von Bedürftigen angenommen wird. Viele sehen es eben nicht ein, dass das Essen in den Müll wandert, obwohl es noch einwandfrei ist. Es herrscht eine freundliche, angenehme Atmosphäre. Nachdem auch die Nummer 50 ihren Eimer gefüllt hat, ist die zweite Runde freigegeben. 20 Minuten nach Öffnung des Fairteilers ist alles weg. Eine Rentnerin bedankt sich noch einmal überschwänglich und freut sich schon auf die nächste Woche. Ein ehemaliger Koch und Stammgast gibt Tipps für die Zubereitung von Kochbananen, die heute im Angebot waren und empfiehlt im Gehen noch, „ein paar Spritzer Limettensaft“ in das Kochwasser für die Artischocken zu geben.
Die Foodsaver freuen sich – ihr Einsatz hat sich gelohnt und ganz nebenbei nehmen sie sich natürlich auch noch etwas für das Abendessen mit nach Hause. Weitere Helfer sind jederzeit willkommen – zum „Fairteilen“ an den Dienstagen, aber vor allem auch zum Abholen bei den Partnerbetrieben. Dazu muss man sich auf www.foodsharing.de registrieren und dann drei Probeabholungen absolvieren. Die Absprache, welcher Essensretter wo etwas abholt, erfolgt dann über eine Online-Datenbank. Übrigens: Auch Spenden werden gerne genommen und können einfach am Abend vorbeigebracht werden. Es darf sich aber nur um einwandfreie Ware handeln und die Packungen sollten nicht angebrochen sein.
Es ist wirklich eine Win-Win-Win-Situation: Die spendenden Unternehmen sparen sich Kosten und Aufwand für die Entsorgung. Die Umwelt wird durch Vermeidung von Müll entlastet. Menschen versorgen sich mit Nahrungsmitteln und sparen Geld. Eine geniale Idee, die von dem Engagement und dem Idealismus der Foodsaver lebt und von der die gesamte Gesellschaft profitiert. Und wenn dann die Lichter im Quartierszentrum ausgehen, gehen die „Rettich-Retter“ mit dem befriedigenden Gefühl nach Hause, die Welt ein bisschen besser gemacht zu haben.