Die neue Aschaffenburger Kunstausstellung im Schlosspark wird sabotiert. Eigentlich sollte die AB-ART-DOOR die Größen der internationalen Kunstszene versammeln. Kunstwerke von Weltruhm wie Sanchos „Illusorischer Indikativ“ oder die „Kopulierenden Diesel-Motor-Zwillinge“ von Hadebrand van Hinton sollten Aschaffenburg zum Nabel der innovativen Art-Welt werden lassen. Kurz vor der Eröffnung aber zerstört ein geheimnisvoller Unbekannter nach und nach die Kunstwerke zwischen Pompejanum und Schloss. Kommissar Sepp Ballschenk steht vor einem Rätsel.
Bevor ich etwas sagen konnte, kam Stefan wie aus dem nichts angerannt, flüsterte Ballschenk irgendetwas zu, steckte ihm einige Ausdrucke zu und die beiden verschwanden. Mit dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass es sich um die tagesaktuellen Vorverkaufszahlen für die Ausstellung handelt – wo auch immer die Ermittler sie her hatten.
Der Rest des Donnerstags verlief mit letzten Vorbereitungen, dem Beruhigen von zarten Künstlerseelen, dem Aufstocken der Bestellung des Caterings für die Eröffnungspressekonferenz, da es aufgrund der Vorfälle nun doch deutlich mehr Akkreditierungen als geplant gab. Ein Typ vom ART-Magazin hielt mich eine Stunde in der Leitung und wollte wissen, ob van Hinton und de Dösschloss eine Affäre hatten oder welche Verbindungen zwischen diesen beiden bestünden und wen ich für den Täter halte und diese aufgeblasene Tussi von Weltkunst meinte, mit mir den verabscheuungswürdigen Charakter des Saboteurs erörtern zu wollen und platzierte ihn irgendwo in einem Höllenkreis zwischen Osama bin Laden und Pilatus.
Am Freitag war endgültig klar, dass es sich um einen Serientäter handelte. Sanchos „Illusorischer Indikativ“ vor dem Frühstückstempel zwischen Schloss und Pompejanum war nur noch Schrott. Das Werk, das monatelang als Eyecatcher auf allen Plakaten, auf den Eintrittskarten und auf der Titelseite der Webseite stellvertretend für diese große Ausstellung prangte, war zerstört. Obwohl der weiße runde Bau mit der schwarzen Kuppel, der auf einem kleinen Felsvorsprung über dem Main saß, wie immer aussah, schien er nun entehrt zu sein. Die Katastrophe der Kunst hatte auch die Kunst der klassizistischen Architektur in Mitleidenschaft gezogen. Das, was Sancho nämlich geschaffen hatte, wirkte bis in den Spiegelsaal im Inneren des Frühstückspavillons hinein. Jedes Objekt war von ihm auf seine optische Wirkung und Vervielfältigung im Inneren des Tempels geprüft und positioniert worden.
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Neongelbe Melkmaschinen-Gummipfropfen aus Patagonien, mehrfach getragene Spitzen-BHs aus Kamtschatka, so was von unfair gehandelte Kaffeebohnen, vom Künstler persönlich kurz angelutschte, garantiert gentechnisch veränderte Waldmeister-Bonbons und feinsäuberlich aus in Bangladesch produzierten Bibelseiten ausgeschnittene Halbmonde lagen nun völlig chaotisch auf einem großen Haufen und sagten nichts mehr. Sie sagten nichts mehr aus. Es hatte nicht schlimmer kommen können: Sancho lag mit einem Nervenzusammenbruch in der nahen Frauenklinik am Ziegelberg – womit sich alle Gerüchte über dessen Vergangenheit in dieser Hinsicht als wahr herausstellten – und das Identifikationsobjekt der AB-ART-DOOR war auf ewig zerstört.
Ich war gerade dabei, einem Journalisten aus Kärnten John James Tucker-Henselmanns Dystopie der Kommunikation zu erläutern (dieser geniale Mann hatte auf der Brücke über dem Schlossgraben zwei Alexas so installiert, dass sie – sobald man an einem gewissen Punkt auf der Brücke laut „Alexa, spiel mit mir“ rief, die jeweils auf gegenüberliegen Geländern montierten Geräte so lange miteinander sprachen, bis die Vibrationen des Streitgesprächs dazu führten, dass eine von beiden sich in den Abgrund stürzte aber – nach langen Diskussionen über den Wert und die Kosten der Kunst – an einem Bungeeseil gesichert waren), als mich die Nachricht erreichte.
Als ich am Frühstückstempel ankam und das ganze Ausmaß des Desasters erfasste, kam auch schon Ballschenk mit Drohnenbildern auf mich zu und drückte sie mir wortlos in die Hand. Nur auf dem Luftbild konnte man erkennen, dass die neongelben Pfropfen, wenn man sie miteinander verband, das Wort „Kunst“ ergaben, wobei allerdings das t kein normales t war, sondern eindeutig ein Kreuz darstellte.
Ich zuckte mit den Achseln. Ballschenk schaute mich herausfordernd an. Mein Handy klingelte. Ich war müde. Die letzten Nächte hatten Kraft gekostet. Und jetzt galt es, den Ansturm der Journalisten aus der ganzen Welt zu bewältigen.
BILD, Los Angeles Post, Die Süddeutsche, The Times, El Pais – sie kamen alle. Die Pressekonferenz am Abend, die kurzfristig im Ridinger Saal des Schlosses einberufen worden war, sprengte alle Erwartungen. Aschaffenburg war an diesem Freitag in fast allen Abendnachrichten der freien Welt Thema. Der geheimnisvolle Saboteur hatte wieder zugeschlagen. Der Subvartist, wie er von einigen genannt wurde, hatte erneut einen renommierten internationalen Künstler um sein Werk gebracht.
Man verstieg sich in die wildesten Verdächtigungen, suchte nach Verbindungen der drei Opfer. Aber bis auf einen feuchtfröhlichen Abend 2003 im Titanic Quarter in Belfast, von dem aus der Szene berichtet wird, es wäre zu leidenschaftlichen Begegnungen untereinander und außerdem mit den ebenfalls anwesenden James Rizzi und Conchita Wurst gekommen – was aber von allen, außer von Conchita – mehrfach und unter Eid bestritten wurde, hatten die drei nichts aber auch gar nichts gemeinsam.
Auch die Werke wiesen auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten auf. Eine Hackfleisch-Kuh vor dem Pompejanum, ein Hähnchenschenkel legendes Oster-Ei auf der St. Germain-Terrasse, kopulierende Dieselmotoren im Garten und der illusorische Indikativ am Frühstückstempel. Es war alles Kunst. Aber warum gerade diese Werke? Oder war der Täter doch einfach willkürlich vorgegangen, weil er die Kunst im Allgemeinen oder die Ausstellung im Besonderen ablehnte?
Ich brachte die Pressekonferenz irgendwie hinter mich. Ballschenk war die ganze Zeit neben mir auf der Bühne gesessen und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mehr wusste, als er sagte. Und dieser Blick, mit dem er mich bedachte, verhieß nichts Gutes. Ich musste wohl vorsichtiger agieren.
Aber mir blieb nicht viel Zeit darüber nachzudenken. Wir mussten Eintrittskarten nachdrucken, den Sicherheitsdienst verstärken, den Pressebereich ausbauen, Verkehrskonzepte wegen des Besucheransturms entwerfen. Die Skandale hatten uns gut getan. Sehr gut. Die Aussicht auf eine Ausstellung, die von einem geheimnisvollen Kunstkenner systematisch, aber mit Stil, sabotiert wird, hatte eine unheimliche Magnetwirkung entwickelt. Jeder wollte, jeder musste dagewesen sein, weil jeder darüber redete. Es gab nur noch dieses eine Thema in ganz Europa: Wer war der Täter und würde er noch einmal zuschlagen?
Am nächsten Morgen ging ich mit einem Lächeln an der Warteschlage vorbei, die sich vom Eingang der Stadthalle über den Schlossplatz und die Schlossterrasse bis zum Westeingang des Geländes zog. Auch der Eingang Pompejanum war so überfüllt, dass die Hanauer Straße komplett gesperrt werden musste. Diese Ausstellung würde die erfolgreichste und bekannteste Kunstausstellung des Jahrzehnts, wenn nicht sogar des Jahrhunderts werden!
Da machte es auch nichts, dass Kommissar Ballschenk mich nach der fulminanten Eröffnung kopfkratzend am Pompejanum in Empfang nahm und mich dezent bat, ihn zur Polizei zu begleiten.
Ich hatte ja eigentlich nichts zu befürchten. Ich hatte ja nur die Idee. Und Eddie, Hadebrand und Sancho waren sofort dabei gewesen.
Für die Kunst musste man eben bereit sein, Opfer zu bringen.