Die neue Aschaffenburger Kunstausstellung im Schlosspark wird sabotiert. Eigentlich sollte die AB-ART-DOOR die Größen der internationalen Kunstszene versammeln. Kunstwerke von Weltruhm wie Sanchos „Illusorischer Indikativ“ oder die „Kopulierenden Diesel-Motor-Zwillinge“ von Hadebrand van Hinton sollten Aschaffenburg zum Nabel der innovativen Art-Welt werden lassen. Kurz vor der Eröffnung aber zerstört ein geheimnisvoller Unbekannter nach und nach die Kunstwerke zwischen Pompejanum und Schloss. Kommissar Sepp Ballschenk steht vor einem Rätsel.
Es war eine Katastrophe. Auch wenn man zugeben musste, dass der Saboteur durchaus ein gewisses künstlerisches Auge bewiesen hatte. In den Gartenanalgen des Pompejanums, dort neben der Araukarie auf der Wiese, wo gestern noch Hadebrand van Hintons monumentale kopulierende Motoren gestanden hatten, war nur ein Schrotthaufen aus grünen und blauen Metallteilen, der mit einer schwarzen breiigen Masse übergossen worden war, auf der wiederum Federn hafteten – Taubenfedern vermutlich.Van Hinton hatte in monatelanger Kleinarbeit zwei genau baugleiche Dieselmotoren in ihre Einzelteile zerlegt und jedes Teil dann entweder blau oder grün lackiert. Nur die Einspritzdüsen machte er in beiden Fällen tiefschwarz. Im nächsten Schritt schraubte er die Motoren wieder zusammen und nahm immer mit peinlicher Gründlichkeit ein blaues neben ein grünes Motorteil, sodass am Ende zwei blau-grüne Motoren entstanden mit jeweils genau gegenteiligen Teilen, aber zwei gleichfarbigen Einspritzdüsen.Diese beiden waren aneinander gekettet, in ihrem kopulierenden Zustand auf eine zwei Meter hohe Säule montiert worden. Computergesteuert tropfte genau alle 365 Sekunden exakt ein Tropfen Motoröl in einen verrosteten grauen Eimer, auf dem mit dem Blut einer ausgestorbenen Art (wo auch immer van Hinton das herbeigeschafft hatte) das Wort KLIMA geschrieben war.
Das war am Mittwoch. Am Donnerstag stand ich mit dem blassbleichen Hadebrand von Hinton vor einem Schlachtfeld aus Federn, Teer und Schrott. Der Hüne mit den hellblonden Rastas hielt stumm mit leerem Blick – die Tränen waren wohl schon vergossen – meine Hand und litt. Ich konnte sein Zittern spüren. Ich litt mit. Ich wusste, wie viel Herzblut, wie viel von van Hintons innerster Energie in dieses Kunstwerk geflossen war.
Ich zog ihn sanft ein paar Schritte weg zu einer der Parkbänke in dem mit Rankenpflanzen überdachten Freigang. Ich musste van Hinton stützen, spürte, wie er fast in sich zusammensackte und schaffte es gerade noch zur Bank. Er stöhnte kurz und fing dann mit irgendwelchen Atemübungen an, die in surrende Mantren übergingen.
Ich wollte mich gerade davonschleichen, als in meinem Blickfeld Kommissar Ballschenk neben der Araukarie auftauchte. Sein Gang war ein Schlappen. Ein schlumpiges, schlurfendes Schlappen mit Schlapphut, schlampigem Mantel und schleppend gehorchenden Gliedmaßen. Man hatte immer den Eindruck, der Kopf des Kommissars sei einen Schritt voraus und die Glieder hätten Mühe mitzuhalten.
„Ah – Herr, äh, Mandrion? Äh ja. Also, ich habe mir den Tatort schon einmal genau angesehen. Ich weiß nicht, finden Sie nicht auch, dass das nicht nach reiner Zerstörungswut aussieht? Es macht fast den Anschein, dass es dem Saboteur leidtat, das Werk zu ruinieren und er noch etwas retten wollte oder eben, dass er oder sie der Meinung war, es besser zu können als dieser – äh“, er zückte sein Notizbuch, „Hadebrand van Hinton, oder was glauben Sie? Der Täter war sicher kein Kunstbanause, oder?“
Ich zog innerlich den Schlapphut. Eine derartige Analyse hätte ich von diesem Mann nun wirklich nicht erwartet. Er hatte Recht. Ein Laie hätte niemals so kunstvoll die Kunstwerke beschädigen können. Oder sollte man eher verändern oder sogar veredeln sagen?
„Ach ja – äh“, nuschelte Ballschenk weiter, „das hier könnte Sie auch interessieren. Schauen Sie sich das einmal an. Dann reichte er mir den Ausdruck eines Luftbildes, das die Polizeidrohne vom zweiten Tatort – dem ruinierten Henne-Ei-Problem – gemacht hatte. Es war faszinierend. Was aus unserer Perspektive niemandem aufgefallen war, stach hier auf den ersten Blick ins Auge: Der Täter hatte alle gelb bemalten Eier in dem Sammel-
surium von scheinbar chaotisch um den Brunnen und das schiefe Mega-Ei verstreuten Eiern so angeordnet, dass sie aus der Luft das Wort ABART ergaben. Ich war mit dem Kommissar einig – das war keine normale Wut. Das war eine Aussage!
Der Mann räusperte sich, hob mit der Rechten kurz seinen Hut, kratzte sich mit der Linken am höchstgelegenen Punkt seines Körpers, setzte den Hut wieder auf und fuhr dann in Zeitlupe einige Male mit dem linken Daumen und Zeigefinger über seinen Schnauzer.
„Herr, äh, Mandrion, ja? Also, ich habe da folgende Theorie: Der oder die Täter betreiben Sabotage. Er zerstört die Kunst, kennt sich aber offensichtlich in der Kunstszene aus, denn zum einen haben Sie mir ja versichert, dass es drei der besonders wichtigen Exponate waren und zum anderen hat er es sich ja nicht nehmen lassen, aus den Werken neue Kunst zu schaffen. Aber warum?
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Das bringt mich zu Option eins: Es handelt sich um einen anderen Künstler, der entweder nicht eingeladen oder abgelehnt wurde oder einen, dessen Werk zwar ausgestellt wird, aber zum Beispiel nicht so viel Platz oder einen weniger attraktiven Platz für sein Kunstwerk bekommen hat oder etwas ähnliches. Fällt Ihnen da spontan jemand ein?“
Vor meinem geistigen Auge ratterten dutzend Namen. Wie viele Telefonate hatte ich führen müssen, mit Möchtegern-Stars, die meine Ausstellung „bereichern“ wollten. Tränen, Lebens- und Leidensgeschichten bis hin zu Selbstmorddrohungen. In wohl kaum einer Branche differierten Selbstsicht und Fremdsicht so drastisch wie in der Kunst. Aber ich brachte es nicht übers Herz, all diesen verletzlichen Künstlerseelen ins Gesicht oder in den Hörer zu sagen, dass ihre Werke schlicht und einfach schlecht waren und sie über einen Jobwechsel dringend nachdenken sollten. Ballschenk ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.
„Option zwei: Ein erboster Bürger. Ein oder mehrere Einwohner könnten ihren Unmut zum Ausdruck gebracht haben über diese ganze … diese ganze … äh – also diese Kunst hier. Das wäre ja auch nachvollziehbar: Hier werden Unsummen an Steuergeldern ausgegeben für diese, diese Kunst. Der Schlosspark wird über Wochen gesperrt und der Öffentlichkeit vorenthalten. Die Ausstellungsstücke entbehren jeglicher Anständigkeit. Eine Kuh aus Hackfleisch, Hähnchenschenkel legende Eier, rosafarbene Elefantenkiefer oder – entschuldigen Sie den Ausdruck – diese fickenden Dieselmotoren.
Da würde ich als Bürger auch rebellieren. Ich meine, schauen Sie mal, das müssen Sie sich mal vor Augen führen, da werden Steuermittel zum Fenster raugeworfen, damit die Parks gesperrt werden und irgendwelche selbstgerechten Lackaffen aus der ganzen Welt ihren Müll in die Landschaft werfen und das dann noch mit abstrusen Interpretationen untermauen und bewundert und gefeiert werden wollen! Ich kann das nicht ertragen. Dieser Ausdruck, diese Ästhetik, diese Provokation, diese Formsprache, diese revolutionäre Herangehensweise, dieses Was-der-Künstler-uns-damit-sagen-will – alles Quatsch. Diese Typen machen aus Scheiße Gold, aber sie haben es vergessen und glauben jetzt wirklich die Lüge, die sie selbst in die Welt gesetzt haben. Das ist doch alles lächerlich!“
Der Gefühlsausbruch kam überraschend. Tief in dem Kommissar schlummerte wohl eine verborgene Konservativität gepaart mit tiefer Verachtung alles Nonkonformen. Aber er hatte sich schnell wieder im Griff.
„Äh – bitte entschuldigen Sie. Kommen wir zu Option drei: Wie immer kann es natürlich auch irgendetwas Privates sein. Meine Leute durchleuchten gerade die Leben von diesem – äh – Eddie de Dösschloss und diesem Hadebrand von – äh – van Hinton. Vielleicht alte Weggefährten, ein Missgönner oder eine abgelegte Geliebte – oder wahrscheinlich sollte ich eher Liebhaber sagen – bei solchen Leuten ist das ja wohl so üblich. Oder beides. Wer weiß das schon so genau.“