Seit 50 Jahren bildet die weiterführende Schule wissbegierige Kinder und Jugendliche bis zur Allgemeinen Hochschulreife aus. Das Gymnasium teilt sich zusammen mit der Realschule Hösbach ein vielseitig und gut ausgestattetes Gelände. Im Schuljahr 2021/22 erhielten die Klassenräume, die Schüler und das Lehrerkollegium wesentliche Neuerungen, die seitdem den Schulalltag maßgeblich veränderten und die Tür zu einem innovativen, modernen Unterricht öffneten.
In Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Aschaffenburg schaffte das Hanns-Seidel-Gymnasium zu Beginn des vorletzten Schuljahres als erste weiterführende Bildungsinstitution im Kreis Aschaffenburg flächendeckend digitale Tafeln in den Klassenräumen und individuelle iPads für sämtliche Schüler der Unter- und Mittelstufe sowie die Lehrkräfte an. Die Tablets können durch ein spezielles Förderprogramm, das zu 50% durch den Aufwandträger des Landkreises beziehungsweise mit einer pauschalen Fördersumme durch den Freistaat Bayern finanziert wird, zur Verfügung gestellt werden.
Im Unterricht kommen die Tablets in Kombination mit den Tafeln ergänzend zu analogen Lehrmethoden, Übungen und Vertiefungen zum Einsatz. Die Lehrkräfte sind unter anderem dazu in der Lage, ihren Tablet-Screen auf die digitale Tafel zu projizieren und mit diverser Software den Unterricht zu erweitern. Die Schüler können dauraufhin entsprechend mit den Inhalten oder untereinander interagieren. Dafür stehen eine breite Software-Landschaft und analoge Hilfsmittel wie die „Merge Cubes“ zur Verfügung. Die selbst zusammenklebbaren Papierwürfel dienen als „Augmented Reality“-Werkzeug. Diese werden vor die Tabletkamera gehalten und dienen als Projektionsraum für 3D-Modelle. So kann beispielsweise die Anatomie des menschlichen Ohres in der Biologiestunde oder ein Querschnitt der Erdschichten im Geographieunterricht individuell auf dem Endgerät angezeigt, gedreht und aus diversen Perspektiven studiert werden.
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Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach
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Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach
Aber nicht nur im Klassenalltag setzt das HSG verstärkt auf den Aspekt Digitalisierung. So nutzen die Schüler ihre Tablets für die eigenständige Arbeit an begleitenden Projekten. In einem eigens dafür eingerichteten Digitallabor können sie Podcasts aufnehmen, an den Geräten entwickelte Modelle 3D-drucken, fräsen oder lasern, Erklärvideos und Stop-Motion-Filme drehen, Minicomputer wie Calliope oder einen voll funktionsfähigen Industrieroboterarm programmieren.
Das Feld der digitalen Didaktik hält eine Vielzahl an neuen Unterrichtsmethoden bereit, die hervorragend mit bereits bewährten Konzepten ineinandergreifen und die Schüler des HSG kontinuierlich nach vorne bringen. Die Direktorin Ulrike Wombacher und das Mitglied der Schulleitung Thomas Geßner verrieten mehr über Hintergründe, Anwendung und Perspektiven mit den digitalen Medien in der Schulwelt.
Interview mit Direktorin Ulrike Wombacher und dem Mitglied der Schulleitung Thomas Geßner

© Till Benzin
Ulrike Wombacher
FRIZZ Das Magazin: Was war der Anstoß für die flächendeckende Anschaffung der iPads und digitalen Tafeln?
Ulrike Wombacher: Es waren zwei Punkte. Zunächst, als Corona die Schulen überflutet hat – anders kann man es ja zunächst nicht ausdrücken – war der Schritt in die Digitalisierung in einem rasanten Tempo vorangegangen. Das Kollegium war sich dann weitgehend einig, dass man nicht mehr in die vordigitale Zeit zurück möchte. Also war eine grundsätzliche Bereitschaft da, die Digitalisierung wesentlich stärker in den Alltag zu integrieren. Zweitens hat sich der Sachaufwandsträger sehr großzügig, sehr innovativ gezeigt und war bereit, dieses Digitalisierungsprojekt in Angriff zu nehmen.
Ist die Einbindung der digitalen Elemente eine Ergänzung, oder besteht längerfristig gesehen die Möglichkeit, dass das Analoge komplett ersetzt wird?
UW: Das komplette Ersetzen wäre, unserer Meinung nach, ein Rückschritt, weil die Idee ist, dass wir uns die Vorteile aus beiden Welten zusammenholen. Es gibt Bereiche, in denen Analog einfach gut für die geistige Entwicklung, für das Begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes – ist und es existieren Bereiche, wo die digitalen Möglichkeiten eine sinnvolle Ergänzung für den Unterricht sind. Wir möchten auf keins von beidem verzichten. Die Zielsetzung ist nicht, das analoge Leben abzuschaffen und in eine digitale Welt abzudriften, sondern die beiden Realitäten, mit denen wir zu tun haben, gewinnbringend miteinander zu vereinen.
Thomas Geßner: Ein einfaches Beispiel wäre die Geometrie. Ein Zirkel und ein iPad funktionieren nicht miteinander. Es besteht nämlich ein deutlicher Unterschied zwischen der Qualität eines händisch gezeichneten Kreises oder einem Klick auf das Tablet.
Werden die Tablets auch in Prüfungssituationen eingebunden?
UW: Bei Klausuren aktuell noch nicht. Das lässt weder die gegenwärtige Prüfungsordnung zu, noch die aktuellen Prüfungsaufgaben. Faktisch ist das Ziel, auf das wir zuarbeiten, das Abitur. Solange das Abitur so wie aktuell gestaltet ist, müssen die Schüler auf diese Prüfungsform vorbereitet sein. In anderen Prüfungsformaten sind die Tablets aber durchaus eingebunden. Bei einem Referat bereiten die Kinder ihre Präsentationen vor, aber auch bei Projektarbeiten, bei Experimenten bei Versuchsbeschreibungen. Aber auch hier wird wohl noch ein Wandel stattfinden. Von Seiten des Staatsministeriums existieren Versuchsschulen, die sich genau mit dieser Fragestellung befassen: Wie können Prüfungen in Zukunft auch digital aussehen?
Also fließt der Umgang mit den digitalen Elementen in den Benotungsprozess mit ein?
UW: Das ist so, zwar nicht bei Schulaufgaben und nicht bei Stegreifaufgaben, aber es existieren bereits digitale Lernprodukte.
TG: Früher haben die Schüler zum Beispiel ein Plakat gemacht, das bewertet wurde – heute ist es vielleicht ein interaktives E-Book.

© Till Benzin
Thomas Geßner
Steht ein Schulfach „Digitale Kompetenz“ in Aussicht für die Zukunft?
UW: Eine digitale Kompetenz ist nur an einem Inhalt zu erwerben. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, ein eigenes Fach einzuführen, in dem digitale Kompetenz ganz ohne Inhalte beigebracht werden soll. Wesentlich wichtiger ist es, dass den Schülern bewusst wird, dass diese digitale Kompetenz nicht nur ein Bereich ist, den sie in einem solchen Fach brauchen und im Alltag dann nicht davon profitieren, sondern, dass sie beim Eintritt in die digitale Welt immer ihr Verhalten reflektieren.
Welchen Einfluss haben die digitalen Neuerungen auf die Motivation der Schüler?
UW: Ich glaube es ist bei vielen Dingen so, dass am Anfang eine unglaubliche Euphorie da ist, diese sich aber weniger auf die inhaltliche Arbeit mit dem Gerät, als auf das Gerät selbst stützt. Der Umgang wird dann mit der Zeit normaler, was gut ist. Positiv ist, dass die Kinder individueller arbeiten können, weil wir die Lernprodukte freistellen können. Wenn ich ein Thema vorgebe, muss ich nicht mehr aus Ermangelung an Alternativen vorschreiben, welche Formate die Kinder damit umsetzen. Jetzt können die Kinder einen Podcast aufnehmen, einen Film drehen und vieles mehr. Da merkt man, dass den Schülern die stärker selbstbestimmte Arbeit Spaß macht.
Merkt man das auch bei den Noten?
UW: Gegenwärtig noch nicht. Das Problem ist aktuell aber auch, dass die iPads in einer Zeit angeschafft wurden, in der alles mit Störeinflüssen überlagert war. Deswegen ist es im Moment noch nicht möglich, einen sinnvollen Rückschluss zu ziehen. Der Landkreis hat jedoch über das Digitalministerium eine Begleitstudie durch die Universität Würzburg angestoßen, sodass der ganze Prozess wissenschaftlich begleitet wird. Zum einen geht es darum zu erkennen, in welchen Bereichen und unter welchen Rahmenbedingungen positive oder gegenteilige Auswirkungen festzustellen sind und zum anderen geht es um die Frage, wie die Schule den sinnvollen Umgang mit den digitalen Endgeräten noch besser unterstützen kann. Die Frage ist letztlich, wie wir als Lehrkräfte die iPads einsetzen und welche Rahmenbedingungen wir für die Kinder schaffen müssen, damit ein Mehrwert entstehen kann.
Wie wirkt sich die Nutzung der Tablets auf die soziale Interaktion im Unterricht und in den Pausen aus?
UW: In den Pausen sind die Tablets in den Taschen. Ich glaube nicht, dass es gut für die soziale Interaktion und die Klassenbildung wäre, wenn die Kinder in den Pausen ständig irgendetwas mit ihren Geräten machen, statt sich mit den Mitschülern zu befassen. Mal unabhängig davon – wenn 2000 Kinder auf dem Pausenhof mit dem Tablet herumrennen, kann man sich vorstellen, wie viel kaputt geht. (lacht) Das wäre nicht zielführend. Im Unterricht ist insofern eine leichtere Interaktion möglich, weil die Kinder per Klick Material teilen können. Wenn man jedoch von einer echten Kommunikation ausgeht – gut ich bin Oldschool, ein Dinosaurier (lacht) – bin ich fest davon überzeugt, dass die Kommunikation ohne das Medium zielführender für die Entwicklung sozialer Kompetenzen ist.
TG: Es ist auch nicht so, dass die Schüler die ganze Zeit vor dem Tablet hängen. Es ist eben ein Wechsel. Manchmal arbeiten sie länger, manchmal kürzer, manchmal vielleicht überhaupt nicht damit. Es ist dadurch viel Abwechslung im Unterricht geboten. So gesehen sind auch normale Büchertaschen, analoge Hefte und analoge Bücher im Gepäck der Schüler.
Gibt es denn einen längerfristigen Plan, die analogen Schulbücher durch digitale Medienvarianten zu ersetzen?
UW: Zum Teil haben wir begonnen, sie mit E-Books zu ergänzen. Man darf eines nicht vergessen: So ein Tablet ist relativ klein. Wenn die Kinder darauf schreiben, damit arbeiten sollen und das Buch darauf haben, wird es nicht funktionieren. Und wir verlangen in der Unterstufe ein analoges Heft. Die Kinder müssen wirklich trainieren, auch einmal einen längeren Text zu schreiben, denn die Schulaufgaben sind immer noch analog. Es wäre nicht zielführend, würden wir zum Beispiel in der Deutschschulaufgabe nicht mehr überprüfen können, was das Kind inhaltlich zu leisten imstande ist, weil es nicht mehr gewohnt und in der Lage ist, überhaupt 45 Minuten am Stück zu schreiben. Wir möchten daher nicht, dass das Tablet als Allzweckwaffe gesehen wird.
Wie hat sich das Lehrerkollegium darauf vorbereitet, mit den digitalen Elementen zu arbeiten?
UW: Wenn wir mit der Einführung aufgrund der Pandemie anfangen: Innerhalb von einem Wochenende. (lacht) Das war einfach so. Freitags ist die Schule geschlossen worden, an dem Nachmittag haben wir noch eine Firma beauftragt „Teams“ für uns anzulegen, damit wir mit den Schülern arbeiten können. Am Mittwoch haben wir die ersten Lehrkräfte für die Q12 also für den Abiturjahrgang geschult, donnerstags die zweiten für die Q11 und dann ging es gleich los. Uns war jedoch bewusst, dass der Prozess damit erst beginnt. Intern haben wir zunächst einen Fünfjahresplan erstellt. Dieser begleitende Prozess wird jedoch danach nicht enden. Denn dafür ist die Digitalisierung viel zu volatil. Es ändert sich vieles. Wir werden nie an einen finalen Punkt angelangen. Es wird auch in die Zukunft immer ein Begleitungsprozess bleiben, auch mit dem Blick auf jährlich neu dazustoßende Kollegen.
Wie hat sich die Arbeit als Lehrer verändert?
TG: Es ist eigentlich ein ganz neuer Unterricht, weil man ihn auch komplett anders denken kann. Früher war es tatsächlich so, dass man als Lehrer vorne stand und für alle erklären musste. Jetzt ist der eine vielleicht ein visueller Typ, der gerne Inhalte sehen würde. Der Nachbar ist eher jemand, der es gerne hören würde. Dem kannst du so als Lehrer eigentlich nicht gerecht werden. Jetzt existiert zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Schüler ein Erklärvideo im eigenen Tempo auf dem Tablet anschauen und nach Bedarf vor- oder zurückspulen können. Das ist viel individueller. In der primären Vorbereitung bietet das natürlich mehr Arbeit, aber als Lehrer und Schüler bekommt man ein direktes Feedback. Man kann Aufgaben erstellen, bei denen den Schülern direkt angezeigt wird, wie sie abgeschnitten haben und können so einen individuelleren Weg im Lernprozess gehen. Dadurch kann man auch als Lehrer viel individueller beraten und den Kindern effizienter helfen.
Welche Perspektiven und Vorbereitung erhalten die Schüler durch die Nutzung der digitalen Welt für das spätere Leben?
UW: Wenn wir uns das Leben der Kinder ansehen, tun wir so, als käme die digitale Welt später. Aber das stimmt ja nicht. Unsere Kinder sind längst dort angekommen – im Alltag sowieso – und werden im späteren Berufsleben gar nicht darum herumkommen. Vermutlich in jedem Beruf werden sie zumindest mit digitalen Unterstützungssystemen arbeiten müssen. Deswegen dürfen wir uns nicht fragen: Worauf bereiten wir die Kinder in der Zukunft vor? Wir müssen uns klar werden, dass wir die Kinder in der Welt abholen, in der sie sich privat sowieso aufhalten.
FRIZZ Das Magazin bedankt sich für das informative Gespräch.
Wer sich selbst ein Bild vom digitalen Schulalltag am Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach oder von der weiterführenden Bildungseinrichtung im Generellen machen möchte, kann am Samstag, den 18.3., den Tag der offenen Tür besuchen. Um 10, 11.40 und 13.20 Uhr finden Führungen statt, die durch vielseitige Angebote ergänzt werden.