Wenn Tobias Wüst den Raum betritt, merkt man sofort, dass er da ist. Das liegt nicht nur an seiner Statur (sein Foto ist im Brockhaus direkt neben „Kerl wie’n Baum“ abgedruckt), sondern auch schlicht und ergreifend an seiner Art. Um diese auf den Punkt zu bringen: Er hat Bock, etwas zu bewegen. Mehr als genug Gründe, sich mit ihm einfach mal zu unterhalten.
FRIZZ Das Magazin: Stadtrat und Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Juso-Vorsitzender in Aschaffenburg, stellvertretender Vorsitzender der unterfränkischen Jusos, stellvertretender Vorsitzender des hiesigen SPD-Stadtverbandes, Vorstandsmitglied des DGB Aschaffenburg-Miltenberg, Mitglied des IG Metall Ortsjugendausschusses, Mitglied bei der Melomania Obernau und der Freiwilligen Feuerwehr Aschaffenburg. Noch was vergessen?
Tobas Wüst: Ja, tatsächlich! Ich sitze an Fasching noch im Elferrat der Obernauer Sitzung. (lacht)
Und jetzt bist du noch zum Vorsitzenden des Stadtjugendrings gewählt worden. Da fragen wir uns: Was machst du mit deiner ganzen Freizeit?
(lacht) Freizeit habe ich schon und da sitze ich dann ganz gerne in meiner kleinen Gartenhütte und rauche eine Shisha. Aber im Ernst, meine Tätigkeiten klingen erst mal nach sehr viel, aber man muss da ein bisschen differenzieren. Ich bin zum Beispiel Mitglied in der Feuerwehr und bringe mich da bestmöglich ein, aber zu Einsätzen rücke ich nicht aus. Beim DGB oder der IG Metall geht’s wiederum in der Regel um monatliche Sitzungstermine.
„Ich bin an Fasching noch Teil des Elferrats der Obernauer Sitzung.“
Was machst du hauptberuflich?
Ich war bis vor Kurzem als Bereichsleiter in einem Unternehmen angestellt. Da ich mich aber neben den ganzen oben genannten Tätigkeiten zuletzt in Vollzeit um den Kommunalwahlkampf unseres OBs Jürgen Herzing gekümmert habe und mich zudem noch als Bundestagskandidat für die SPD zur nächsten Wahl stellen werde, habe ich meinen Hauptjob für den Moment aufgegeben.
Du bereitest dich quasi auf die Karriere als Berufspolitiker vor?
Eigentlich nein, denn das Bild, das im Moment mit einem Berufspolitiker verbunden wird, entspricht nicht dem, was ich darunter verstehe.
Sondern?
Die Politik entfernt sich immer weiter weg von dem, was sie eigentlich ausmachen sollte, nämlich die Nähe und Kommunikation mit allen. Da würde ich gerne wieder hin: Kommunikation nicht nur mit meiner Generation und mit meinem Umfeld, sondern mit der breiten Gesellschaft. Das ist auch ein Grund, warum ich mich in so vielen verschiedenen Einrichtungen und Gruppen engagiere. Wenn ich mich beispielsweise nur mit den Leuten von der IG Metall umgeben würde, hätte ich zwangsläufig eine andere Sicht auf die Dinge, als wenn ich Input von allen Seiten bekomme – vom Stadtjugendring über die Feuerwehr und vom Stadtrat bis hin zum Stammtisch des Musikvereins, wenn ich da den Wirtschaftsdienst mache.
Klar! Jeden Freitag ist Musikprobe, von 20–22 Uhr. Danach mache ich normalerweise noch drei, vier Stunden Thekendienst für den Stammtisch. Aber leider kann das ja gerade nicht stattfinden.
„Ich will und werde beispielsweise unser Gesundheitssystem zu meinem Thema machen.“
Du warst bislang Vorstandsmitglied im Stadtjugendring, bist jüngst zum Vorsitzenden gewählt worden und hast Elisa Narloch abgelöst, die in die Geschäftsführung gewechselt ist.
Richtig, Elisa teilt sich die Geschäftsführung ab jetzt mit dem langjährigen Geschäftsführer Uli Kratz, der sich zukünftig auf die Themen Finanzen und Personal konzentriert, während Elisa die Fachaufsicht, also die pädagogische Leitung, übernimmt und sich zudem noch um das Projekt „Hotspot Demokratie“ kümmert, in dem der SJR die Demokratieförderung in den Stadtteilen vorantreibt.
Gibt es Baustellen im Stadtjugendring, die du als Vorsitzender gerne verstärkt angehen möchtest?
Das Thema Öffentlichkeitsarbeit und Standing des SJR ist so eine Baustelle, da arbeiten wir schon länger dran und das steht bei mir ganz oben auf der Liste. Der Stadtjugendring hat sich in den letzten drei Jahren noch mal wahnsinnig entwickelt, der Haushalt wurde massiv aufgestockt und das zeigt ja, was da auch neben dem Fest „Brüderschaft der Völker“ noch dahintersteckt. Ich finde es wichtig, die Marke SJR zu stärken und das Verständnis in der Bevölkerung auszubauen, für was wir stehen, was wir machen und wie sehr wir die Angebote der Stadt Aschaffenburg ergänzen. Medienberatung in den Schulen und über das Café ABdate, Medienarbeit mit Schülerinnen und Schülern bei Radio Klangbrett oder das Riesenthema Inklusion, das über PIA (Abteilung für Partizipation, Inklusion und interkulturelle Arbeit, Anm. d. Red.) abgewickelt wird und hilft, Inklusion in unserer Stadt besser zu leben. Und dann hat uns nicht nur die Pandemie gezeigt, wie sehr wir das Thema Digitalisierung vorantreiben müssen. Grundsätzlich ist die Aufgabe des Stadtjugendrings ja die Förderung der einzelnen Jugendverbände und die finanzielle Unterstützung deren Arbeit. Und so ein Jahr ohne große Live-Kommunikation führt ganz schnell dazu, dass eine komplette Vereinsarbeit zum Erliegen kommt, da die digitalen Möglichkeiten in den einzelnen Vereinen entweder oft nicht bekannt sind oder nicht genutzt werden. Bei der Unterstützung in der digitalen Vereinsarbeit sollten wir angreifen und einen unserer Schwerpunkte setzen.
Apropos Schwerpunkte. Wo willst du die in deiner politischen Arbeit setzen, gerade im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl?
Ich will und werde beispielsweise unser Gesundheitssystem zu meinem Thema machen. Wie sehr uns unser kaputtgespartes und auf Gewinnmaximierung ausgelegtes System Probleme macht, bekommen wir aktuell gerade alle sehr zu spüren. Das Thema Bürgerversicherung war auch schon bei der letzten Bundestagswahl ein Kernthema der SPD und ich glaube im kommenden Wahlkampf wird dieser Bereich auch wieder ganz oben auf der Liste stehen. Die Leute haben einfach keinen Bock mehr auf die Zweiklassengesellschaft in der Gesundheitsvorsorge und ich kann das absolut verstehen. Daher wird dieses Thema auch mitentscheidend sein.
„Du bist Mitglied einer Fraktion und dementsprechend nur ein Teil eines großen Puzzles.“
Wie willst du dich eigentlich selbst davor schützen, ein Politiker zu werden, der irgendwann den Bezug zu seiner Basis verliert und sein Engagement zu sehr darauf konzentriert, im Machtpoker immer weiter nach vorne zu kommen? Denn es kommt ja nicht nur darauf an, was du aus deinem Amt machst, sondern auch was dein Amt aus dir macht.
Als Abgeordneter im Bezirkstag, im Landtag oder gar im Bundestag bist du in gewisser Weise schon so etwas wie ein Hamster im Laufrad. Du bist Mitglied einer Fraktion und dementsprechend nur ein Teil eines großen Puzzles. Anders sieht das aus, wenn du zum Beispiel Oberbürgermeister in einer kreisfreien Stadt wie Aschaffenburg bist, dann ist dein persönlicher Gestaltungsraum natürlich größer, klar. Jetzt durfte und darf ich sehr eng mit Jürgen Herzing zusammenarbeiten und muss sagen, dass er mit seiner Art schon ein großes Vorbild für mich ist. Ein wichtiger Schlüssel liegt in meinen Augen darin, breitgefächerte Freundschaften zu erhalten. Auch deshalb ist für mich der regelmäßige Austausch mit meinen Kollegen und Freunden im SJR, bei der Feuerwehr oder im Musikverein so wichtig, denn das erdet einen natürlich stetig.
Der gemeine Durchschnittsbürger denkt manchmal, dass gerade Bundestagsabgeordnete sich nicht kaputt arbeiten …
… was einfach nicht stimmt. Gerade bei Bundestagsabgeordneten stehen nicht nur die Verpflichtungen der Arbeit in Berlin auf dem Zettel, sondern du musst zusätzlich noch deinen Wahlkreis für deine Partei betreuen.
OK, nehmen wir mal an, du wirst tatsächlich in den Bundestag gewählt. Keine Freizeit hast du ja jetzt schon. Wo wirst du dann in Berlin deine Shisha rauchen?
Also, ich kenne tatsächlich ein paar gute Shishabars dort. Und auf jeden Fall gäb’s eine Wohnung mit Balkon. (lacht)
Du machst nicht den Eindruck, dass du irgendeines deiner Ämter nur um des Amtes willen bekleidest. Ganz im Gegenteil, wer dich kennt, weiß, dass du jede Aufgabe mit Herzblut und Engagement ausübst. Aber würdest du das alles wirklich noch schaffen, wenn du viel Zeit im Bundestag verbringen würdest?
Das ist schwer zu sagen, am allerliebsten würde ich natürlich keine meiner bisherigen Tätigkeiten aufgeben müssen, wenngleich mir klar ist, dass das wahrscheinlich nahezu unmöglich sein würde. Die Mitglieder vom Melomania-Freitagsstammtisch haben mir schon angedroht, mich nicht zu wählen, weil sie sonst noch ihren Wirt verlieren. (lacht) Aber Spaß beiseite: Lass uns erstmal abwarten. Es weiß ja niemand, ob ich das wirklich schaffe. Ich habe starke Konkurrenten und noch ganz viel Arbeit vor mir.
Du bist jetzt Mitte 20. Ein Alter in dem es eben gerne nicht um Kommunalpolitik, Ehrenamt und Vorsitzposten. Hand aufs Herz, gab es schon mal Momente, in denen du entweder neidisch auf das Freizeitverhalten deiner Kumpels geschaut oder vielleicht sogar gleich „Warum tue ich mir das alles an“ gedacht hast?
Das ist schwierig zu beantworten. Natürlich gibt es Momente, in denen ich mir denke: „Lasst mich in Ruhe“. Aber das kennt doch auch jeder andere aus seinem Berufsleben. Und wenn’s um die Freizeitaktivitäten mit meinen Kumpels geht – wenn ich da unbedingt dabei sein will, dann nehme ich mir die Zeit auch …
… aber für dein Empfinden auch genug Zeit?
Ja, auf jeden Fall. Natürlich muss man auch ab und zu mal etwas streichen oder man arrangiert einen Kompromiss. 2019 war ich beispielsweise auf dem Bundesparteitag in Berlin und bin sonntags sehr früh abgereist, weil ich um 15 Uhr ein Kirchenkonzert mit dem Musikverein in Obernau gespielt habe. Wenn man will, geht das alles. Aber ich habe auch einen Freundeskreis, der das akzeptiert.
Schöne Überleitung. Was sagt eigentlich deine Familie zu dem Thema? Gibt’s da Leute die sagen „Bub, wärst du doch lieber Werkzeugmacher geblieben!“
(lacht) Am laufenden Band! Aber im Ernst, schon der Eintritt in eine Partei 2016 war für meine bis dato eher unpolitische Familie etwas Besonderes. Davor war ich Schülersprecher an der FOS/BOS und habe mich in der Integrationsarbeit engagiert. Aus dem Wunsch, mehr in diese Richtung zu machen, bin ich dann am 1. Mai 2016 in die SPD eingetreten.
Auch noch am 1. Mai? Mehr Klischee geht ja quasi gar nicht!
Ja natürlich! (lacht) Voll durchgezogen!