© Till Benzin
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Hatten wir es eigentlich schon erwähnt? Samstags ist das Bus- und Bahnfahren in Aschaffenburg kostenlos. Ja, wirklich! Und damit ist auch widerlegt, dass was nichts kostet, auch nichts wert ist. Denn wertvoll ist es ja auf jeden Fall, sich in einer Großraumlimousine durch unser Aschaffenburg chauffieren zu lassen, dabei das Stadtleben an sich vorbeifliegen zu sehen und nebenbei auch noch im kostenlosen WLAN zu surfen. Komfortabel in jedem Fall – kostenlos aber nur samstags und nur im Aschaffenburger Stadtgebiet. Im vierten Teil unserer Serie erkunden wir den Osten der Stadt.
Die Linie 12 fährt – wie übrigens auch die Linie 16 – zum Aschaffenburger Klinikum. Da heißt es dann gleich: Aufpassen und vor allem nicht einschlafen! Wer am Regionalen Omnibusbahnhof neben dem Hauptbahnhof in die 12 einsteigt, ist auf der sicheren Seite. Der 12er fährt nämlich nur bis zur Endstation Klinikum und wieder zurück – allerdings nur zwischen 8:15 Uhr 15:15 Uhr jeweils stündlich. Wer zu anderen Zeiten oder später fahren will, der ist auf die Linie 16 angewiesen – die fährt immer zur vollen und halben Stunde von 6:00 bis 21:30 Uhr. In der 16 muss man allerdings mitdenken – die fährt vom Klinikum nämlich noch weiter in Richtung Haibach. Wer einschläft und dabei von rauschenden Uferfesten am Main träumt oder die durchzechte Freitagnacht verarbeiten muss und den Ausstieg verpasst, der muss nicht nur für ein Ticket zahlen, sondern findet sich dann eben auch in Haibach oder Grünmorsbach wieder.
Die samstägliche Fahrt zum Klinikum dauert
je nach Linie zwölf bis 15 Minuten. Es geht an der Großmutterwiese vorbei durch die Lindenallee. Dann über den Ring und in die Ludwigsallee – eine Reminiszenz an die gute alte Zeit als wir noch einen König in Bayern hatten und sowieso alles viel besser, geordneter und schöner war als heute. Es geht stetig bergauf – die Ausläufer des Spessarts sind zu spüren und wir passieren die Haltestellen Vischerstraße, Holbeinstraße, Schongauerstraße. Dabei lernen wir, dass Vischer ein Erzgießer war, der von 1460–1529 gelebt hat, Holbein ein Maler und Zeichner aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und Schongauer ein Maler und Kupferstecher aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Anschließend teilt uns das gelbe Ortsausgangsschild unmissverständlich mit, dass wir Aschaffenburg nun verlassen.
Was? Doch nicht rechtzeitig ausgestiegen? Nein, keine Sorge. Das Klinikum zählt noch zum Stadtgebiet. Wir können beruhigt sitzen bleiben, es geht an Wiesen und Wäldern entlang und kurz nach der Haltestelle Kippenburg biegt der Bus nach links zum Klinikum ein und spuckt uns dann an der gleichnamigen Haltestelle aus.
Wir lassen den Blick schweifen. Linker Hand ein etwas in die Jahre gekommenes mehrstöckiges Gebäude – die Kinderklinik, wie die Bilder und Malereien in den Fenstern zeigen. Geradeaus dann aber der neu gestaltete Vorplatz und die neue Eingangshalle des „Klinikums Aschaffenburg--Alzenau“, wie es seit der Fusion mit dem Wasserloser Krankenhaus seit einigen Jahren offiziell heißt. Der Schriftzug prangt groß auf dem in anthraziten Stein gehaltenen Portal und ist von einem liegenden, spiegelverkehrten L in leuchtendem Grün eingerahmt. Wir machen uns auf den Weg – beeilen uns ein bisschen beim Durchschreiten der unvermeidlichen Qualmwolke der Nikotin-süchtigen Patienten vor dem Eingang und wenden uns nach links.
Beim Schlendern durch die weißen Gänge schweifen die Gedanken. An wohl kaum einem Ort liegen Freud und Leid, Genesung und Krankheit, Tod und Geburt so nah beieinander wie in einem Krankenhaus.
Während im Kreißsaal vielleicht gerade ein neuer Mensch seine ersten Atemzüge tut, könnte in einer anderen Station ein Mensch gerade seine letzte Lebensenergie verhauchen. Vielleicht liegen sich in diesem Flur gerade zwei sich Liebende überglücklich über die endgültige Genesung in den Armen, während zwei Stockwerke tiefer die tödliche Diagnose gestellt wird. Narkosen. Blaue Träume. Operationen. Angst. Durchwachte Nächte. Freuden- und Abschiedstränen. Schmerzensschreie. Seufzer der Erleichterung. Dramen mit und ohne Happy End. Das alles unter einem Dach. Alles an einem Tag. Alles hier im Aschaffenburger Klinikum, während ich mir normalerweise Gedanken über kostenlose Bus-Tickets, Nichtigkeiten auf der Arbeit oder unerledigte Hausarbeiten mache. Unzählige Schicksale, die ohne mein Wissen passieren. Menschliche Katastrophen, die mich nichts angehen, die mich nicht berühren, weil ich sie nicht kenne. Bevor diese Gedanken in den immer gleichen Krankenhausgängen überhand nehmen, verlassen wir das Klinikum lieber wieder und atmen – nach der Nikotinwolke – durch. Frische Luft! -Ohne diese süßliche Melange aus Desinfektionsmittel und Krankheit. Jetzt empfiehlt sich ein lebensbejahender Spaziergang unter freiem Himmel. Wenn man zurück zur Straße läuft und dann rechts parallel in Richtung Stadt den Weg nimmt, erreicht man nach einigen hundert Metern rechts eine weitere Einmündung. Hier gibt es nicht nur eine herrliche Kastanienallee zu bestaunen (und wenn man schnell und zur richtigen Jahreszeit da ist, zu „beernten“), sondern von hier aus lässt sich auch gut die Kippenburg und die Teufelskanzel erwandern. Letztere mit traumhaftem Blick über die Stadt. Und zum Abschluss natürlich wieder unser Einkehrtipp: Die Urbani-Häcker am Godelsberg ist nur wenige Schritte entfernt. Sie bietet nicht nur Aschaffenburger Weine und passende lokale Schmankerl, sondern auch ein unvergleichliches Ambiente mitten im Weinberg. Bei schönem Wetter ist die Urbani-Häcker samstags bis 22 Uhr geöffnet. Zurück geht es dann von der nahen Bushaltstelle Kippenburg mit der Linie 16 alle halbe Stunde bis 21.11 Uhr.