© Till Benzin
Dead End Obernau
Wie mittlerweile alle wissen, dürfen wir samstags in unserem Aschaffenburg kostenlos Bus und Bahn benutzen. Es handelt sich dabei zwar erst einmal um ein auf zwei Jahre befristetes Versuchsprojekt – aber das macht es nicht weniger begrüßenswert – mit der klitzekleinen Einschränkung, dass dieses Angebot eben nur für das Stadtgebiet gilt. Damit es nicht doch teuer wird, stellen wir euch in dieser Serie spannende Busausflüge innerhalb der Stadtgrenzen vor. Unser heutiges ÖPNV-Dead-End ist Gailbach!
Da wird es nämlich tricky: Die Linie 5 fährt vom ROB aus bis zur Endstation Dörrmorsbach/Hohe-Warte-Weg. Dörrmorsbach ist aber ein Ortsteil von Haibach und Haibach gehört nicht zur Stadt, sondern zum Landkreis Aschaffenburg. Und da gilt ja unser Samstags-Bus-Special nicht. Ein völlig naiver Visionär könnte hier jetzt kritisch einwenden, dass man das Gebiet doch auch auf das Umland hätte erweitern können … aber so einfach ist Politik eben nicht und deshalb nehmen wir gerne den Spatz in der Hand, also das Gratisticket innerhalb der Stadtgrenzen. Diese Grenze befindet sich aber VOR der Endhaltestelle, sodass man hier – ACHTUNG – an der vorletzten Station aussteigen muss.Aber immer der Reihe nach: Unser Bus fährt am ROB alle 30 Minuten und zwar immer genau zur vollen und halben Stunde ab. Die Linie 5 fährt zum Herstallturm, durch die Platanenallee und die Hofgartenstraße, die Würzburger Straße hinauf an der Hochschule vorbei und biegt dann auf Höhe des McDonalds in Richtung Schweinheim ab. Dort müsste man dann eigentlich mal mit einem Lokalhistoriker entlangfahren, denn die Haltestellen werfen Fragen auf: Josef-Dinges-Straße – wer war das eigentlich? Rotwasserstraße – gab es hier einst blutrünstige Gemetzel, bei denen der Lebenssaft in Strömen floss? Althohlstraße – Reminiszenz an einen in die Jahre gekommenen Schluchtweg? Weinbergstraße – gab es hier Weinbau in Schweinheim? Dümpelsmühle – was wurde hier gemahlen? Aber der Bus lässt alle Fragen offen und Schweinheim hinter sich. Wir verlassen bebautes Gebiet, biegen rechts auf die Landstraße in Richtung Gailbach ein, halten noch kurz an der Station „Gailbachtal“ (Achtung – gehört laut Busplan zu Schweinheim) und erreichen dann schließlich das Spessart-Straßen-Örtchen Gailbach, was sich auf den ersten Blick nicht sehr von den anderen unzähligen Spessart-Straßen-Örtchen unterscheidet. Einzig die letzten Verfechter des Genitivs werden sich entweder angeekelt abwenden und diesen Ort nie wieder betreten wollen oder den nächsten militanten Feldzug gegen den irrsinnigen und falschen Gebrauch von Apostrophen ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn das unübersehbare Schild mit „Mary’s Getränkeladen“ in ihren Blick fällt. Aber wir wollten ja gerade dahin gehen, wo es weh tut und bleiben im Bus Nummer 5 sitzen, bis zum Ende. Das heißt – nicht ganz. Bei Linie 5 muss man eben schon bei Gailbach-Spielplatz austeigen. Ausgespuckt an der idyllischen Kreuzung, wo es entweder nach Soden oder eben nach Dörrmorsbach geht, lassen wir die Szenerie auf uns wirken. Eine Art von einsamer Verkehrsinsel mit einer kleinen Wiese, zwei Bäumen und sogar einem kleinen Häuschen, aus dem es brummt und das gleichzeitig als überdachte Bushaltestelle dient. Diese Orte sind der perfekte Schauplatz für einen modernen Western (Exkurs: „Es war einer jener staubigen Tage an der gottverlassenen Gailbacher Kreuzung, als die unerbittliche Sonne mit ihrem Flimmern das Unheil noch eine Weile verschwimmen lassen konnte, das da aus Soden und Dörrmorsbach herunterritt – zwei schon längst dem Gesetz verlorengegangene Cowboys hatten sich auf den Weg nach Gailbach gemacht, um eine Entscheidung zu suchen - im Gepäck eine Wolke aus Rache, Todeslust und dem Mut der Verzweiflung …“)Aber außer einer Fantasie anregenden Bushaltestelle und einem ganz idyllisch gelegenen Spielplatz ist hier am Gailbacher Dead End der Stadt Aschaffenburg nichts zu finden. Also machen wir uns auf den Weg zu einem kleinen Entdeckungsspaziergang. Folgen wir doch einfach mal der Straße in Richtung Dörrmorsbach, überqueren die Stadtgrenze zu Fuß, vorbei am Ortsausgangsschild und bergauf in den Spessart … doch weit kommen wir nicht. Nach wenigen hundert Metern zweigt eine Straße mit einem Hinweis zu einem Wanderheim steil links hoch ab. Wir entdecken gleich auch noch einen Wanderwegweiser mit Hinweis auf weitere Ziele. Aber erst einmal taucht ein schmuckes und gemütliches Wanderheim vor uns auf: Ein Maibaum leuchtet davor in der Sonne, hölzerne Picknickbänke laden zum Rasten ein, Schlappeseppel-Schilder und ein nicht unwitziges Holzkreuz (Beschriftet mit „rechts“, „links“, „hoch“, „runter“ und in der Mitte mit „Ende der Durststrecke“) lassen vermuten, dass man hier nicht nur gut Pause machen, sondern auch gut feiern kann. Leider hat das Wanderheim zu und so genießen wir einfach noch ein paar Momente den Blick auf das verträumte Gailbach – herrlich eingebettet in die Spessart-Landschaft. Wieder mal eine Neuentdeckung in der Aschaffenburger Einkehrszene. Nur leider eben geschlossen. Laut Aushang kann man es sich immer am letzten Freitag im Monat von 19–22 Uhr und am Sonntag zum Frühschoppen von 9–12 Uhr gut gehen lassen. Das merken wir uns und kommen gerne wieder. Wer jetzt noch Lust auf eine ausgedehnte Wanderung hat, dem sei der steile Anstieg über die Wiese empfohlen, der jeden Schritt wegen des tollen Ausblicks lohnt. Nach gut einem Kilometer trifft man auf den Europäischen Kulturweg „Marmor, Stein und Spessartit‘“, der sich auf acht Kilometer der Vielfalt der Geologie widmet, die Gailbach auch den Beinamen „Dorf der Steinbrüche“ eingebracht hat. Neben geologischen Höhepunkten bietet die Tour Blicke bis zum Taunus, die beeindruckende „dicke Aasche“ (auch Frühstückseiche genannt) und den alten Gailbacher Marktplatz mit dörflicher Idylle. Zurück in die Spessart-Metropole zum ROB geht es dann bis 14.30 Uhr von der Haltstelle Spielplatz jede halbe Stunde und von 15 Uhr bis 21 Uhr immer genau zur vollen Stunde. Wer möchte kann auf der Rückfahrt auch noch bei der Station Gailbachtal aussteigen und den beeindruckenden Marmorsteinbruch erkunden, der von hier aus mit einem kurzen Abstecher zu erreichen ist. Mit vielen Eindrücken aus Gailbach kehren wir in 26 Minuten bequem zurück in die Stadt – wieder einmal überrascht, was die Aschaffenburger „Ränder“ so alles zu bieten haben.