Das Fest „Brüderschaft der Völker“ ist ein Projekt, an dem sich alle teilnehmenden Gruppen und Vereine das ganze Jahr in Form von regelmäßigen Treffen beteiligen. Parallel dazu gibt es eine Steuerungsgruppe, die sich aus Vertretern einiger Vereine sowie dem SJR und der technischen Planungseinheit zusammensetzt.
Mit einigen aus der Steuerungsgruppe haben wir uns zum Interview getroffen: Ercan Pancarci (Halkevi e. V.), Irene Spatz (Officium et Humanitas) und Melissa Erdei vom städtischen Integrationsmanagement sowie Andi Hefter vom SJR.
FRIZZ Das Magazin: Wie war es für euch, als das Fest 2020 abgesagt wurde?
Irene: Natürlich muss man das ganze Thema für sich selbst erstmal sortieren und verarbeiten. Rückblickend war der Zeitpunkt der Absage ganz wichtig und zwar im positiven Sinne. Es gab noch keine finalen Vorbereitungen wie Einkäufe, Bestellungen etc. Das macht die Abwicklung leichter.
Ercan: Ehrlich gesagt waren wir alle mit der ganzen Situation anfänglich irgendwie überfordert. Bis zum letzten Tag haben wir gehofft, dass noch in irgendeiner Form eine Veranstaltung stattfinden kann. Wir sind ja auch noch in die Kulturtage involviert, zudem hätten wir eine Woche vor dem FBDV unsere eigene Veranstaltung im Nilkheimer Park gehabt. Als dann die Entscheidung gefallen war, waren natürlich alle enttäuscht, denn wir alle lieben das Fest und die gemeinsamen Tage auf dem Volksfestplatz.
Inwieweit wirkt sich so eine Absage auf die Vereinsaktivitäten und -strukturen aus?
E: Für große Vereine, die auch schon über Jahrzehnte dabei sind, ist das schlicht gravierend. Denn eines darf man ja auch nicht vergessen: Für viele Vereine führt so eine Absage zu einem massiven Budgetproblem. Das Fest ist für viele Vereine überlebenswichtig. Sie haben Mieten zu tragen und laufende Kosten und dürfen ihre Räumlichkeiten aktuell nicht nutzen. Wir haben über 500 Vereine in Aschaffenburg, vom Sport- bis zum Kulturverein – und den allermeisten wird es ähnlich gehen.
Was bedeutet die Absage für das Integrationsmanagement der Stadt?
Melissa: Einen ganz herben Rückschlag. In erster Linie ist das Fest Brüderschaft der Völker in den vergangenen Jahren vom „wir gehen mal was essen und trinken auf dem Volksfestplatz“ zu einem wirklichen Ort der Begegnung gewachsen. Wir haben im letzten Jahr noch neue Projekte im Zelt des Integrationsmanagements präsentiert und dabei wieder gemerkt, wie wichtig das Fest als Plattform ist um unsere Arbeit den Menschen näherzubringen. Auch in Verbindung mit dem persönlichen Kontakt zu den Teilnehmern auf dem Platz ging es mit unseren Vorhaben richtig gut voran. Darauf wollten wir in diesem Jahr aufbauen – da wurden wir jetzt allerdings strikt ausgebremst. Zudem treibt auch mich die Frage um, was das für die Vereine bedeutet. Schließlich findet die aktive Jugend-, Kultur- und Integrationsarbeit zu einem großen Teil ja auch direkt in den Vereinen statt.
Gibt es überhaupt Möglichkeiten, den Ausfall des Festes im Hinblick auf die Integrationsarbeit durch irgendwelche Alternativen zu kompensieren?
M: Wenn man mal von der Masse an Menschen ausgeht, die aus den unterschiedlichsten Motiven auf diesem Fest sind und denen man auf reelle Weise mit Fühlen, Riechen, Schmecken, Hören die Vielfalt näher bringen kann, ist das durch nichts zu ersetzen. Im Vergleich, die letzte Integrationskonferenz hatte 300 bis 400 Besucher, auf dem Fest reden wir über das 100-fache.
Andi: Das Fest ist ein Zeichen für Begegnung und diese kann nun schlicht nirgendwo stattfinden. Weder auf dem Fest noch woanders. Bei uns fallen ja auch die monatlichen Vorbereitungstreffen mit allen Teilnehmern flach. Was aber bleibt: Die bunte Festfamilie steht zusammen, das hat man jetzt auch bei der Anti-Rassismus-Demo gesehen. Unsere Teilnehmer sind füreinander da, auch in schlechten Zeiten.
Wie sieht denn Vereinsarbeit im Moment überhaupt aus?
E: Ganz schwierig! Wir hätten normalerweise unsere Jahreshauptversammlung haben müssen, haben diese aber jetzt schon mehrmals verschoben. Auch an reguläre Treffen unter Mitgliedern ist nicht zu denken. Der Austausch findet aktuell nur über E-Mail oder WhatsApp statt – kein Vergleich zur normalen Vereinsarbeit also.
I: Die persönliche Begegnung fehlt einfach an allen Ecken und Enden. Das Fest hat in den letzten Jahren nochmals einen massiven Schub erfahren. Was hat eurer Meinung nach dazu beigetragen und wo entwickelt sich das FBDV im besten Fall noch hin?
E: Als der SJR die Führung über das Fest übernommen hat, hatten wir schon ein wenig die Befürchtung dass es zu kommerziell wird und die Vereine nicht mehr im Vordergrund stehen. Aber das hat sich nicht bewahrheitet, ganz im Gegenteil. Durch die Unterstützung des Stadtjugendrings ist alles professioneller geworden, aber auch der Charakter des Festes wurde geschärft. Das ist etwas sehr Positives.
I: Wenn ein neuer Verein teilnehmen möchte, wird das ja in der großen Gruppe vorab besprochen und gegebenenfalls auch darüber diskutiert. Durch die Vorstellung der Vereine sieht man aber auch ganz gut, wo die einzelnen Teilnehmer ihre Schwerpunkte in der Vereinsarbeit haben und wie schön sich das immer ergänzt.
E: Wir sind offen für alle, die unser Fest ergänzen und bereichern möchten. Ich bin mir sicher, dass es in Aschaffenburg und Umgebung noch eine Menge Vielfalt an Vereinen und Organisationen gibt. Da ist noch viel Potenzial!
Gibt es auch Grenzen beim Wachstum?
E: Wir bräuchten mehr Platz! (lacht) Es gab und gibt ja da schon mal einige Gedankenspiele dazu.
Ach ja? Andi, sag mal was dazu! (alle lachen)
A: Naja, es gab tatsächlich mal die Überlegung, auf die andere Mainseite zu gehen. Denn wenn der Volksfestplatz ein Problem hat, dann die mangelnde Parkatmosphäre. Andererseits ist der Platz aufgrund seiner Infrastruktur einfach am allerbesten geeignet, was wiederum auf der anderen Mainseite nicht flächendeckend gegeben ist. Andere schöne Plätze, wie zum Beispiel der Nilkheimer Park, schließen wir nach Rücksprache mit den Vereinen kategorisch aus, denn das Fest soll in der Stadtmitte stattfinden.
Was ist euer persönlicher Moment der Momente auf einem FBDV?
M: Das erste, was mir dazu einfällt: Wenn wir total verpennt, nachdem man tagelang zusammengepackt hat, auf dem Festplatz ankommen und mit dem Aufbau beginnen. Am besten hats direkt davor noch geregnet – und dann kommt „Guten Morgen Sonnenschein“ aus allen Lautsprechern. Nana Mouskouri tut in so einem Moment einfach gut und das ist der Moment, in dem ich mir immer dachte, „Ja! Hallo! Jetzt geht’s los!“ (alle lachen)
I: Wenn man einmal das Gewusel an einem Aufbau-Donnerstag erlebt hat – das ist immer wieder schön zu sehen und mein persönliches Highlight vor dem eigentlichen Highlight.
E: Mein Glücksmoment ist, wenn wir auf der Bühne sind, die Gibt es irgendwas, was ihr persönlich dem Fest wünscht? Natürlich außer dem Wunsch, dass es 2021 wieder stattfinden kann.
I: Dass die Menschen uns einfach treu bleiben.
E: Was ich mir und dem Fest wünsche, ist ein weiterer Ort, an dem man zusammensitzen und reden kann. Vielleicht auch mit Vorträgen, Diskussion, Interviews und ähnlichem. Abseits des Essens und Trinkens ein Ort der Begegnung und der Kommunikation. Ein Zentrum.
A: Der immerwährende Wunsch, dass das Fest immer friedlich bleibt. Und dann noch: Schatten und Wiese! (lacht)
FRIZZ Das Magazin dankt natürlich auch euch fürs nette Gespräch!
www.bruederschaft-der-voelker.de
Brüderschaft der Völker
Ein Fest „Brüderschaft der Völker“ in Zahlen & (Fun-)Fakten
- 120 teilnehmende Gruppen, Vereine & Organisationen
- 1.500 ehrenamtliche Helfer
- Ca. 30.000 Besucher an drei Tagen
- 3 Bühnen mit ca. 60 Beiträgen
- Rund 200 Helfer/Tag allein im Kinderbereich
- Für die Helfer werden vor Ort rund 750 Essen frisch gekocht
- Die Parkplatzeinweiser leisten 400 Std. in drei Tagen
- Über 750 Autos/Tag parken alleine auf dem Volksfestplatz
- 1,6 km Flatterband und 300 „Stickel“ werden für Absperrungen verbaut
- Auf dem Platz wird 1 km Trinkwasserschlauch verlegt
- 16 mobile Stromkästen versorgen die Teilnehmer
- 90 Kabelbrücken entschärfen die Stolperfallen
- Über 30 mobile Handwaschbecken und 60 Spülen kommen zum Einsatz
- Knapp 500 Festzeltgarnituren werden aufgebaut
- 140 Bauzäune und 80 Marathongitter trennen die einzelnen Bereiche
- Über 50 Funkgeräte sorgen für die perfekte Kommunikation bei der Crew
- 150 Mülltonnen und eine große Müllpresse helfen bei der Entsorgung