Was, wenn sich die Natur eines Tages nicht mehr nur wehren könnte – sondern wollte? Mit dieser Frage beschäftigt sich Ruth Elsholz in ihrem neuen Roman Arbor Vitae (2025), der die Vorstellung des Menschen als „Krone der Schöpfung“ radikal infrage stellt. Vor dem Hintergrund zunehmender, menschengemachter Umweltkatastrophen verleiht Elsholz der Natur eine eigene Stimme – und eine eindringliche Haltung: „Wir haben lange genug stillgestanden, jetzt ist die Zeit zum Handeln.“
FRIZZ hat die in Laufach lebende Literaturwissenschaftlerin und Autorin Dr. Ruth Elsholz zum Gespräch getroffen.
FRIZZ Das Magazin: Wie kamst du auf die Idee, einen Roman über rebellierende Bäume zu schreiben – gab es hierfür einen konkreten Auslöser – einen Geistesblitz im Wald?
Ruth Elsholz: Also erstmal gab es natürlich eine Jugendlektüre. Ich glaube, der Fangornwald aus Tolkiens „Herr der Ringe“ ist für viele von uns zum Inbegriff einer wehrhaften Natur geworden. Aber das war eher so etwas wie unbewusstes Grundrauschen bei mir. An die Oberfläche kam es, als ich Judith Schalanskys Roman „Der Hals der Giraffe“ gelesen habe. Da beobachtet eine Biologielehrerin, wie sich – ich meine, es sind Quecken – durch die Betonritzen eines zerfallenden Einkaufszentrums zwängen und die Platten aufsprengen. Sie fragt sich, was passieren würde, wenn wir die Natur sich selbst überließen. Ob sie dabei auch an Alan Weissmans Die Welt ohne uns gedacht hat, weiß ich nicht. Ich fand danach jedenfalls, Quecken und Knöterich sind gut, Bäume aber noch besser. Denn, ganz ehrlich: Nachdem ein paar Leute zu meinen beiden Romanen aus der Reformationszeit meinten, die Heldinnen dort würden (zu) viel denken, wurde es in unserer Familie zum Running Gag, dass ich unter männlichem Pseudonym einen Blockbuster raushauen würde, etwa „Forest Reloaded. Der Wald kehrt zurück“ von Björn Landknecht. (Nicht lachen!) Ich habe schnell gemerkt, so was liegt mir nicht. Aber ich habe mir erlaubt, die Geschichte in „Arbor Vitae“ einzubauen.
Du ordnest deinen Roman zur sogenannten Green Fiction bzw. zum Genre der Öktopie. Könntest du diese Begriffe genauer erklären? Welche Art von Literatur kann man sich darunter vorstellen?
Es gibt ja schon lange verschiedene Konzepte von Utopien. Thomas Morus „Utopia“ natürlich. Auch Daniel Defoes „Robinson Crusoe“, um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen. Da geht es immer um ideale Gesellschaftsformen. Ebenso in Dystopien wie George Orwells „1984“ oder Margaret Atwoods „Report der Magd“ oder „Im Jahr der Flut“, die das Gegenteil beschreiben: Eine Gesellschaft als Überwachungsstaat oder komplett in Auflösung. Beides ist nichts für mich. Auf die Bezeichnung Öktopie bin ich tatsächlich erst bei der Recherche für „Arbor Vitae“ gestoßen. Das Problem: Die meisten hierunter gefassten Beschreibungen, zum Beispiel der Roman „Ökotopia“ von Ernst Callenbach, sind mir in ihrer grünen Harmonie genauso verdächtig. Das ist, was uns von der Politik lange versprochen wurde: Ihr müsst auf nichts verzichten. Alles geht weiter wie bisher. Nur anders. Halt Elektroauto statt Verbrenner. Klar, was ich meine? Ich habe mit Öktopie bewusst eine Wortvariante gewählt, weil hier einmal nicht wir Menschen agieren, sondern die Umwelt – eigentlich ja Mitwelt – zu Wort, oder besser ins Handeln kommt. Also radikaler Perspektivenwechsel. Und mit der Chance auf Vermittlung. Denn wir haben es ja ziemlich verbockt. Vielleicht mal die anderen ranlassen? Ich suchte also einen Begriff, der diese Vermittlung am besten versinnbildlicht. Daher Öktopie.
Warum hast du den Spessart als Schauplatz gewählt, wie wichtig war dir der regionale Bezug?
Eichen, Streuobstwiesen – Heimat? Mhm. Vielleicht zu pathetisch. Aber im Ernst, ich komme ursprünglich aus Frankfurt (Mainhattan!) – und wollte immer da raus. Jetzt lebe ich seit mehr als 20 Jahren im (Vor)Spessart, der immerhin das größte zusammenhängende Laubmischwaldgebiet Europas ist. Da muss ich auch mal danke sagen! Im Übrigen verzieht die Hauptperson meiner Geschichte, Lena, aus dem Spessart nach Hamburg. Einen schöneren Kontrast kann es nicht geben. Obwohl: Das Wood Wide Web ist da auch …
Gibt es eine bestimmte Zielgruppe, an die du beim Verfassen des Buchs gedacht hast?
Wie ich auf meiner Website schreibe: Das Buch ist für alle, die hin- und hergerissen sind zwischen Klimadepression und der Hoffnung auf eine gute Wende. Und natürlich für alle, die spannende Geschichten mögen und sich auch mal auf Gedankenexperimente einlassen. Geschlecht, Alter und Gesinnung egal.
Was kann ein Roman wie „Arbor Vitae“ oder Literatur im Kontext der Klimadebatte bewirken, was Fakten allein oft nicht schaffen?
Gute Frage. Empathie? Identifikation? Gefühl? Wir wissen inzwischen, dass der Mensch den Großteil seiner Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft. Fakten können noch so klar sein, sie überzeugen im Zweifel niemanden, weil sie abstrakt bleiben. Da sind wir genetisch noch ganz der Urmensch. In der Wirtschaft hat man das natürlich auch schon erkannt und bewirbt das Storytelling für den Vertriebserfolg. Wenn also jemand nach der Lektüre von „Arbor Vitae“ auch nur einmal kurz die Seite wechselt und überlegt, was der Baum dazu sagen würde, dann war es das für mich schon wert!
Am 13.11. um 19 Uhr gibt es im Aschaffenburger Martinushaus die Gelegenheit, Ruth Elsholz und ihren neuen Roman kennenzulernen. Musikalisch begleitet wird dieser Abend von Martin Geiberger.
Arbor Vitae
Ein Gedankenexperiment mit ungewissem Ausgang
- Roman
- 724 Seiten
- Taschenbuch, Softcover
- ISBN: 978-3-819095-44-3
- Preis: 25 Euro
- www.epubli.com

