1853 gründete Moritz Graf zu Bentheim die Blindeninstitutsstiftung in Würzburg. Sein Ziel war es, Kindern mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung ebenfalls eine faire Chance auf Bildung und damit einhergehende Förderung zu bieten.
Mit der hiesigen Außenstelle des Blindeninstituts kann diese pädagogische und therapeutische Förderung auch in Aschaffenburg stattfinden. Vormittags besuchen aktuell 42 Kinder die Graf-zu-Bentheim-Schule. Am Nachmittag bleiben davon 35 in der Heilpädagogischen Tagesstätte. In der Frühförderung Sehen werden rund 50 Kinder ab dem Säuglingsalter betreut. Und der mobile sonderpädagogische Dienst der Schule unterstützt eine ähnliche Anzahl von Schülern am Untermain.
Oftmals beschränken sich die Beeinträchtigungen der Kinder und Jugendlichen nicht auf die Sehfähigkeit, sondern gehen mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und geistigen Behinderungen einher. Um die Unterstützungsmöglichkeiten so effektiv wie möglich umsetzen zu können, werden sie vor Ort je nach individueller Ausprägungen in fünf Gruppen mit spezifischen Förderschwerpunkten eingeteilt. In diesen kümmern sich in der Regel zwei bis vier Pädagogen sowie Pflegekräfte um sechs bis acht Kinder.
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Die SVE-Gruppe konzentriert sich auf die schulische Vorbereitung. Dort werden grundlegende motorische Abläufe geübt, die als Reaktion auf zumeist taktile Reize hervorgerufen werden. In der L-Gruppe werden lebenspraktische Fähigkeiten vermittelt, damit alltägliche Aufgaben wie beispielsweise Zähneputzen leichter fallen. Die K-Gruppe legt den Fokus auf Kulturtechniken, die das kreative Denken und Verständnis anregen. Obwohl sich die einzelnen Kleingruppen zwar in ihrer individuellen Ausgestaltung der Aktivitäten unterscheiden, wird darauf geachtet, dass sich das übergreifende Programm ähnelt. So werden nach dem Unterricht von allen Ausflüge unternommen, gespielt und gebastelt. Darüber hinaus können auf dem vielseitig ausgestatteten Spielplatz, im Bewegungsraum und im hauseigenen Schwimmbad mit Hubboden körperliche, gymnastische sowie sportliche Tätigkeiten ausgeführt werden.
Ergänzt wird das Förderungsprogramm durch Logopädie, Physio- und Ergotherapie. Hierfür arbeiten die Therapeuten einzeln mit den Kindern und Jugendlichen in den jeweiligen dafür eingerichteten Räumen, um eine umfassende körperliche, geistige und sprachliche Unterstützung zu erhalten.
Ein Highlight des Neubaus ist der Erfahrungsraum Sinne in dem interaktive Reizangebote wie der Magic Carpet oder eine Druckmatte genutzt werden, um Sinneseindrücke zu sammeln, Selbstwirksamkeit zu erfahren und gleichzeitig eine entspannende Atmosphäre zu schaffen.
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Andrea Karl
Andrea Karl
FRIZZ Das Magazin: Mit dem Umzug des Blindeninstituts von Elsenfeld bzw. Niedernberg nach Aschaffenburg wurde der Name von „Blindeninstitut Untermain“ zu „Blindeninstitut Aschaffenburg“ geändert. Welche Änderungen sind mit dem neuen Standort und Gebäude auch architektonisch gekommen?
Andrea Karl: Bei der Planung wurde von Beginn an auf die sehbehinderten- und blindenspezifische Gestaltung des Gebäudes, der Räumlichkeiten sowie der Außenanlagen geachtet, zum Beispiel durch den rechtwinkligen architektonischen Aufbau im Innen- und Außenbereich. Das Gebäude ist in Bezug auf den Sonnenlichteinfall so ausgerichtet, dass es möglichst keine Blendung von außen gibt. Im Gebäude selbst schaffen klare Kontraste, taktile Leitlinien und Objekte sowie eine besondere Beleuchtung Orientierung. Ausreichend Abstellräume für Hilfsmittel ermöglichen barrierefreie Flure und verringern damit die Behinderung und Gefährdung durch herumstehende Gegenstände. Zukünftig soll es auch noch ein digitales Leitsystem geben, für welches wir aktuell Spendengelder sammeln.
Wie greift die Arbeit des Blindeninstituts mit der der Graf-zu-Bentheim-Schule ineinander?
Der Hauptsitz der Graf-zu-Bentheim-Schule in Trägerschaft des Blindeninstituts Würzburg. Durch den Neubau der Außenstelle in Aschaffenburg konnten endlich Schule, Heilpädagogische Tagesstätte, Frühförderung Sehen sowie die Therapieabteilung unter einem Dach als Blindeninstitut Aschaffenburg zusammengeführt werden. Alle Abteilungen arbeiten eng zusammen, mit dem Ziel der bestmöglichen Förderung der Kinder und Jugendlichen. Für die meisten Schüler gibt es einen fließenden Übergang zwischen dem Schulvormittag und den pädagogischen Angeboten der Tagesstätte am Nachmittag – immer unterstützt durch therapeutische Angebote. Für die über die Frühförderung Sehen betreuten Kinder bietet sich je nach Behinderung mit der Einschulung der Besuch der Graf-zu-Bentheim-Schule mit angegliederter Heilpädagogischer Tagesstätte an.
Wann ist es sinnvoll, mit der Förderung von Kindern mit Seh- & zusätzlichen Behinderungen zu beginnen?
Wie bei jeder Förderung gilt auch hier: So früh wie möglich. Denn auch das Sehen wird gelernt und gerade in den frühen Kindheitsjahren ist hier ganz viel möglich. Gleiches gilt bei Blindheit.
Wir haben das Ziel, dass blinde Kinder die gleichen Entwicklungsschritte durchlaufen und nahezu altersgemäß die gleichen Aktivitäten durchführen können wie sehende.
Manchmal nehmen wir Babys schon mit wenigen Wochen in der Frühförderung Sehen auf, um hier von Beginn an zu begleiten und zu fördern. Sobald sich Auffälligkeiten im Sehverhalten zeigen, sollten Eltern, Ärzte und Pädagogen diese im Blick behalten und unser Beratungsangebot in Anspruch nehmen.
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Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Eltern aus?
Die Frühförderung Sehen ist Anlaufstelle für Sehauffälligkeiten, aber auch für Blindheit. Wird ein Kind aufgenommen, so erfolgen die Fördereinheiten in den Familien oder aber in den Kindertagesstätten und damit im alltäglichen Umfeld. Damit ist zumeist auch ein enger Kontakt zu den Eltern gegeben: Viele Fördermöglichkeiten können miterlebt und somit selbst gelernt werden. In der Schule und der heilpädagogischen Tagesstätte sind die Eltern wichtige Partner. Die Fachkräfte stehen mit den Eltern in regelmäßigem Kontakt, um gemeinsam an den Entwicklungszielen zu arbeiten. Der Elternbeirat unterstützt mit Angeboten vor Ort.
Welche Anzeichen für eine Sehbeeinträchtigung sind besonders charakteristisch und dadurch auch von Eltern recht einfach zu erkennen?
Augenzittern und Schielen sind meist die ersten Auffälligkeiten, die von den Bezugspersonen gesehen werden. Außerdem stellt das Sehen eine wichtige Grundlage für den Beziehungsaufbau dar. Sucht das Kind diesen nicht oder aber reagiert auf Reize eher hörend oder taktil, so könnte eine Schwierigkeit beim Sehen vorliegen. Eine Schiefhaltung des Kopfes beim Sehen kann ein Hinweis auf einen Gesichtsfeldausfall sein. Bei Sehauffälligkeiten ist nicht immer das Auge das Problem. Teilweise können auch Einschränkungen in der zerebralen Verarbeitung des Sehreizes vorliegen, da auch das Gehirn für das Sehen wichtig ist. Das kann sich zum Beispiel im Greifen ohne zielgerichteten Blick zeigen.
Ist das Blindeninstitut zusätzlich außerhalb seiner Räumlichkeiten tätig?
Insbesondere die Frühförderung Sehen ist außerhalb der Räumlichkeiten tätig. Neben dieser werden durch den Mobilen Dienst Sehen der Graf-zu-Bentheim-Schule in den Landkreisen Aschaffenburg und Miltenberg ungefähr 50 sehbehinderte oder blinde Schüler an anderen Regelschulen oder Förderzentren begleitet. Gleichermaßen endet für alle Kinder und Jugendlichen aus Schule und Tagesstätte der Alltag in der Einrichtung nicht an den Grundstücksgrenzen. Es gilt, die Stadt Aschaffenburg sowie Angebote im Umfeld kennenzulernen. So geht es regelmäßig zum Einkaufen oder auch mal in die Parks der Stadt. Außerdem gibt es schon erste Kooperationen, zum Beispiel beim Blindentennis mit dem Tennisclub. Uns ist es wichtig, Teil Aschaffenburgs zu sein und uns auch im Sozialraum zu verorten. Denn das ist ein wichtiger Teil der Teilhabe junger Menschen.
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