Als vor 40 Jahren die ersten Bands und Künstler im Roßmarkt aufschlugen, um im Auftrag von Günther und Claus Berninger, die neueröffnete Live-Location namens Klimperkasten zu bespielen, stand der Schreiber dieser Zeilen gerade mit Schultüte und Rotznase als Erstklässler in einer Dorfschule des Aschaffenburger Umlands. Seitdem ist gerade im Roßmarkt viel passiert: Aus dem Klimperkasten wurde der Colos-Saal, aus ein paar ersten hinimprovisierten Konzerten wurden abertausende professionell abgewickelte Live-Shows, aus der ambitionierten Kleinstadtbühne wurde einer der renommiertesten Clubs Deutschlands und aus dem unerfahrenen Brüderpaar wurde eine schlagkräftige Crew aus erfahrenen Konzertveranstaltern, die mit allen Wassern gewaschen sind.
Was sich über die vier Dekaden überhaupt nicht verändert hat: Die Liebe zur Livemusik und der Enthusiasmus für im wahrsten Sinne des Wortes erlebbare Kultur.
Mit Gründer und Urgestein Claus Berninger und seinem Sohn sowie Co-Geschäftsführer Max Berninger hat sich FRIZZ Das Magazin getroffen, um ein paar brennende Fragen an die Männer zu bringen, die ihnen in den letzten Wochen rund um das Jubiläum noch nicht gestellt wurden. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe, aber lest doch einfach selbst …
FRIZZ Das Magazin: Ich unterstelle euch einfach mal ganz rotzfrech, dass ihr in euren Anfangstagen bestimmt niemals daran gedacht hättet, mal ein 40-jähriges Jubiläum zu feiern?
Claus: Niemals (lacht)! Da hast du vollkommen recht. Wir haben damals einfach angefangen, Tag und Nacht gerödelt und uns über so was gar keine Gedanken gemacht.
Wobei man sich ja doch schon irgendwelche Meilensteine setzt, oder?
C: Ja, ab dem Colos Saal war das so. Allein durch die für uns sehr große Investition durch den Umzug vom Klimperkasten in den heutigen Club und den Umbau zu einer wirklichen Live-Location waren wir ja gezwungen, da auch mit langfristigen Planungen ranzugehen. Ab da waren wir gedanklich immer so bei einem Zehnjahreshorizont.
Hättet ihr, mit dem Wissen von heute, in den Anfangstagen etwas anders gemacht? Oder bist du eher der Meinung, dass die gemachten Fehler ihren Teil dazu beigetragen haben, dass ihr heute da seid wo ihr seid?
C: Letzteres, ja. Ich glaube, wenn ich in den Anfangstagen so etwas wie einen Paten oder eine Ausbildung in unserem heutigen Berufsfeld gehabt hätte, wäre ich an manche Situationen wahrscheinlich anders herangegangen. Wenn ich allerdings damals schon gewusst hätte, dass ich so lange durchhalte, hätte ich mir vor 35 Jahren ein größeres Objekt gesucht.
Meinst du damit auch eine größere Kapazität?
C: Ja, aber nicht all zu viel. Mein Traum wäre irgendwas zwischen einer 800er und 1200er Kapazität, weil man das dann für kleinere Sachen immer noch kuschelig gestalten kann und den großen Hallen und Playern trotzdem nicht in die Quere kommt.
Max: Und es geht ja auch darum, dass wir in Würzburg, Frankfurt und Wiesbaden Wettbewerber mit der genannten Kapazität haben und daher würde uns ein wenig mehr Kapazität natürlich nicht schaden. Wichtig wäre, dass es für kleinere Shows dann abtrennbar wäre.
In der sehr lesenswerten History auf der Homepage steht auch was von dem schmerzhaften Lehrgeld, dass ihr in den Anfangstagen bezahlen musstet. Hast du hier ein Beispiel für uns?
C: Niemals vergessen werde ich eine Lehrstunde von Deutschlands bekanntester Blues-Institution Udo Wolff, seines Zeichens Sänger der Band „Das dritte Ohr“. Der hat mich direkt am Anfang unserer Tage einen Vertrag unterschreiben lassen, bei der er eine gängige Gagen-Klausel um ein kleines Wort abgeändert hat. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass er nahezu alle Einnahmen mitnehmen konnte und für mich an diesem Abend überhaupt nichts übrigblieb. Ich werde seine Worte nie vergessen: „Du wirst diesen Fehler nie mehr in deinem Leben machen, aber heute gibst du mir das Geld!“ Und er hatte Recht, der Fehler ist mir wirklich nie mehr passiert und ich bin ihm sehr dankbar (lacht).
Haben die Kollegen das damals bewusst gemacht, weil sie euch nicht ernst genommen haben und euch einfach richtig die Hose ausziehen wollten?
C: Ja, kann schon sein.
M: Ich würde mal behaupten, derlei Spielereien kommen auch heute noch vor. Wir haben hier teilweise Abrechnungen, die sind so komplex, dass du 17 Mal nachrechnen musst, ob jetzt auch wirklich alles stimmt. Und ich bin der Meinung, das passiert nicht zufällig.
C: Und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass nach der Pandemie viele junge Kollegen in die Branche gekommen sind, die leider gar nicht wissen, was sie da tun. Es kommt inzwischen häufig vor, dass da falsche Rechnungen kommen, die von uns korrigiert werden müssen. Die bauen da so viele Klauseln und Beteiligungen ein, dass sie es selbst nicht mehr richtig berechnen können. Zum Glück können wir das dann für die übernehmen (grinst).
Inzwischen …
C: Ja stimmt, inzwischen (lacht laut)!
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Ich werde euch garantiert nicht nach eurem absoluten Highlight in 40 Jahren Colos-Saal fragen …
M: Danke!
Aber vielleicht anders herum: Wieviele Sonderausgaben des FRIZZ müssten wir drucken, wenn ihr dort alle eure großen Momente nennen müsstet?
C: Einige! Ich bin schon auf viele Sachen sehr stolz, die wir hier gemacht haben. Aber jeder definiert ja ein Highlight für sich anders. Bei mir haben die unvergesslichen Highlights schon im Klimperkasten angefangen, weil wir da schon Sachen präsentiert haben, die ich persönlich einfach sehen wollte, ohne nach Frankfurt fahren zu müssen.
Wie oft musstest du eigentlich selbst deinen musikalischen Horizont verschieben bei der Programmgestaltung?
C: Gar nicht so in der Art, wie du vielleicht meinst. Ich bin jetzt 65, das darfste auch gerne so schreiben, komme musikalisch aus dem Mainstream-Rock, habe dann irgendwann den Jazz entdeckt und bin schon immer ein großer Fan von Funk und Black Music. Oder andersherum: Alte Musik geht mir auf den Sack! Und daher liebe ich es bis heute, neue und frische Bands zu finden. Und gerade an dieser Stelle habe ich natürlich auch ein tolles Booking-Team rund um Matthias Garbe, die mich tagtäglich mit geilen Acts überraschen.
Gibt es eigentlich irgendeinen Act, an dem ihr euch beim Booking bis heute die Zähne ausgebissen habt?
M: Für mich nicht, ich bin da emotionslos. Wenn sie nicht hier spielen wollen, dann sollen sie es bleiben lassen (Claus lacht laut).
Bist du da weniger Enthusiast als dein Vater?
M: Hm, weiß ich gar nicht. Ich ärgere mich in solchen Momenten schon auch, klar, aber eben nicht lange. Bringt ja auch nix, sich mit Absagen lange aufzuhalten, dazu ist mir meine Zeit zu schade.
C: Ich würde eher sagen, dass Max einfach ein bisschen härter ist als ich und nicht ganz so emotional. Aber ich finde das ganz gut, denn dann macht man auch weniger Fehler.
Und welche Chancen habt ihr im Booking verpasst?
C: Da gibt es tatsächlich was, und da könnte ich mich heute noch für ohrfeigen. Wir hatten mal ein Angebot für Jacob Collier, der einfach der neue Mozart des Popjazz und heute ein absoluter Weltstar ist. Damals war er ganz kurz vor seinem Durchbruch und die technischen Anforderungen und damit verbundenen Nebenkosten haben uns dazu veranlasst, seiner Anfrage eine Absage zu erteilen. Und das war rückblickend ein echter Fehler.
Wie seht ihr die aktuelle Lage der Clubkultur, gerade auch mit Erfahrungswerten aus der Post-Corona-Zeit?
M: Politisch gesehen wurde uns einiges versprochen, wenig bis gar nichts davon ist wirklich passiert. Innerhalb der Szene fand durch Corona aber eine beachtliche Vernetzung statt, von der wir auch heute noch profitieren.
C: Nach der Pandemie sind die Ticketpreise durch die Decke geschossen, das ist natürlich nicht zu verleugnen und schon ein großes Thema, auch für uns.
M: Wobei ich da mal kurz einhaken möchte, denn die Preiserhöhungen in allen Bereichen der Live-Produktionen haben auch schon weit vor Corona angefangen, das lässt sich aus unseren Statistiken sehr gut herauslesen. Das hat sich damals auch schon auf die Ticketpreise ausgewirkt. In den letzten Jahren hat das aber alles, auch durch die Inflation, nochmal einen dicken Schub bekommen, das stimmt natürlich. Und das macht einem schon Sorgen, schließlich leben wir von der Frequenz. Wir versuchen da schon entgegenzuwirken, aber die Preissteigerungen können wir natürlich nicht alleine abfedern.
Und für den Colos-Saal im Speziellen?
M: Ich sehe für uns die Zukunft sehr positiv. Wir können uns selbst finanzieren, auch wenn die Margen nicht vergleichbar mit anderen Branchen sind. Aber wir haben uns in unserer Nische absolut etabliert und zudem wächst der Live-Musikmarkt ja auch wieder merklich und geht gerade in eine Richtung, die sogar über Vor-Corona-Niveau liegt. Überwiegend im Popbereich und bei den absoluten Großevents, aber das lässt uns dann trotzdem mitwachsen. Denn es gibt ja auch Konsumenten, die den überteuerten Großkonzerten und -konzernen den Rücken kehren und wieder bewusst emotionale Momente in den kleinen, nahbaren Clubs suchen.
Ihr seid mit ein paar ausgewählten Konzerten außerhalb des Clubs unterwegs, beispielsweise im Stadttheater. Sind zukünftig weitere, neue Projekte außerhalb der eigenen vier Wände in Planung?
C: Da gibt es tatsächlich was, auch wenn wir tatsächlich die Katze noch nicht final aus dem Sack lassen wollen. Bislang nur so viel: Max hat ein Thema aufgegriffen, das ich jahrelang nie so wirklich anfassen wollte. Und er hat dabei die komplette Unterstützung aus unserem jungen Team, die sehen darin gute Chancen. Also machen wir das und ihr dürft gespannt sein!
Das sind wir! Vielen Dank für den Schnack und auf die nächsten 40 Jahre Berniversum! Prost!