@ Jens Trierweiler
Claus Berninger
Seit 34 Jahren bieten Claus Berninger und sein Team feinste Livemusik im Aschaffenburger Roßmarkt. Zuletzt war der Colos-Saal auch abseits der Konzerthighlights ein Gesprächsthema in der Stadt: Bleibt die Pilgerstätte für Musikfans aus Nah und Fern in der angestammten Location? Inzwischen herrscht Klarheit, ausgestattet mit der längsten Vertragslaufzeit seiner Geschichte bleibt der Colos-Saal am angestammten Platz. Zudem haben Jutta und Claus schon heute die Nachfolge geregelt: Sohn Max arbeitet nun auch im elterlichen Betrieb und wird auf seine zukünftige Führungsrolle vorbereitet. Genügend Gründe für einen guten Kaffee und einen netten Plausch!
FRIZZ Das Magazin: Claus, wie ist so im Moment eigentlich dein Alltag mit noch mehr Familie im Büro?
Claus Berninger: Oh, ich habe viel mehr Arbeit, weil ich hier Knalltüten anlernen muss… (lacht). Nein im Ernst: Spannend! Wir haben mit Max lang darüber geredet, ob er das mit dem Einstieg wirklich will. Ich gehe ja auch in kleinen Schritten auf die 60 zu, worüber ich mir all die Jahre nie Gedanken gemacht habe. Aber jetzt mache ich mir Gedanken, denn es kann ja auch einfach mal ganz schnell vorbei sein – und was wäre dann? Es ist ja auch überhaupt kein Geheimnis, dass Max der designierte Firmennachfolger ist, und das ist auch gut so. So haben alle Klarheit und können ganz normal weiterarbeiten. Schlicht und ergreifend: Es geht einfach weiter.
Gab’s für den eingeleiteten Generationenwechsel irgendeinen konkreten Auslöser?
Die Frage ist doch, ob du als Selbstständiger wirklich eine finale Zukunftsplanung machen kannst. Eher ist mir alleine das alles hier ein bisschen zu groß geworden - wir sind ja als Arbeitgeber verantwortlich für inzwischen 17 Arbeitsplätze, da hat ja vor zehn Jahren auch niemand dran gedacht. Aufgrund dessen haben wir in der jüngeren Vergangenheit schon angefangen uns ein paar Gedanken zu machen, haben viele Gespräche geführt mit dem Team, mit Max usw. Bis zu dem Tag, an dem es hieß, dass das Gebäude hier verkauft worden ist, waren wir auch mit allem auf Kurs. Die Diskussion über den Standort kam uns dann natürlich ein bisschen dazwischen.
Was überwiegt denn dann jetzt gerade bei dir? Die Freude, dass der Colos Saal ein familiengeführter Betrieb bleibt oder die Gewissheit „Scheiße, bin ich alt!“?
(Jutta Schaadt-Berninger lacht am Nebentisch)
Mein Alter ist mir so was von scheißegal! Ausserdem sehe ich doch auch wesentlich jünger aus, als ich bin, oder? (lacht). Es freut mich wirklich, dass wir hier was aufgebaut haben, was Bestand hat. In den letzten drei, vier Jahren ist dann auch noch rausgekommen, dass nicht nur wir uns einbilden der Colos Saal wäre etwas Besonderes, sondern dass das auch beispielsweise irgendwelche Jurys so sehen. In dieser ganzen Zeit machst du dir überhaupt keine Gedanken ums Alter und fühlst dich bis 55 sowieso noch wie ein junger Hüpfer. Doch irgendwann merkst du „Hey, ich stell hier Leute aus der Altersgruppe "30" ein, wie sieht denn deren Zukunft aus?“ Und dann fällt dir auf, dass Rolf und Herrmann über 25 Jahre da sind und in gar nicht allzu langer Zeit das Thema Rente auf den Tisch kommt. Und die zwei sind unser Jahrgang…
Aber du willst uns doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du in ein paar Jahren den Hammer fallen lässt um daheim auf der Couch zu sitzen. Das glaubt dir doch kein Mensch.
Natürlich hören Selbstständige nie so richtig auf. Aber es wäre auf der anderen Seite ja auch absolut verantwortungslos wenn du dich nicht mit der Frage auseinandersetzen würdest, was wäre, wenn ich nicht mehr könnte.
Ihr habt nachweislich ein sehr gutes Team, das den Club, den Markt und das Tagesgeschäft perfekt beherrscht. Gibt’s da nicht auch mal Überlegungen bei Jutta und dir, irgendwann mal was anderes zu machen? Stichwort Privatleben?
Das machen wir ja schon eine Zeit lang. Die Phase, in der wir uns hier komplett aufgerieben haben, wo ich teilweise 80 und mehr Stunden hier verbracht habe, ist schon fünf, sechs Jahre vorbei. Wir haben personell massiv aufgerüstet, wir haben super Leute und wissen, dass auch dann noch alles läuft, wenn wir mal daheim bleiben. Das alles ändert aber nichts daran, dass wir die Verantwortung für das alles hier haben. Wenn man sieht was wir hier mit dem Laden im Monat erwirtschaften müssen damit alles klappt, bekommt auch mal ein Claus Berninger das Flattern. Auf der anderen Seite gibt’s ja trotzdem Betätigungsfelder, auf denen ich mich abseits des Clubs ausgetobt habe oder aktuell austobe: Jugendarbeit in Vereinen oder die Kommunalpolitik mal als Beispiel genannt.
Jutta Schaadt-Berninger: Wenn wir wirklich den Wunsch hätten, was anderes zu machen würde das im Umkehrschluss ja auch ein Stück weit bedeuten, dass wir hier unzufrieden wären. Das ist gewiss nicht so – das genaue Gegenteil ist der Fall. Es geht uns einzig und allein darum, uns für die Zukunft geordnet aufzustellen.
Die Frage zielte ja auch mehr in die Richtung Wunschträume. Eine ausgedehnte Reise oder derlei beispielsweise.
Darauf hätten wir tatsächlich schon mal Bock. Aber das können wir auch noch mit 70 machen. (lacht). Sind wir doch mal ehrlich: Das hier ist schon ein Traumjob, den wir uns über die letzten fast 34 Jahre selbst gestalten konnten. Wer kann das schon? Ernsthaft über Veränderungen nachzudenken wäre total vermessen. Dass es einen Übersättigungsgrad gibt, ist aber auch Fakt. Ich muss nicht mehr jedes Konzert sehen, die fünf- bis sechstausend bisher reichen völlig. Was mir tatsächlich im Moment fehlt, ist die Kreativarbeit. Mein Job besteht fast ausschließlich aus administrativen Tätigkeiten – und da wird mich Max massiv entlasten. Macht er ja jetzt schon. Und ich kann wieder tüfteln, da freue ich mich total drauf.
Beispiel?
Naja, früher haben wir Veranstaltungskonzepte ausgearbeitet, Discos kreiert, waren programmatisch innovativ. Das würde ich mir in dieser Art in meinem Alter jetzt nicht mehr anmaßen (schmunzelt), aber ich denke da an neue Serviceangebote, Webseitenoptimierungen, Erleichterungen für unsere Besucher, bestehende Angebote verschönern. Oder aber auch mal wieder ein komplett neues Genre aufreißen und in unsere Stadt bringen. Wir müssen uns ja durchaus auch ständig fragen, ob es musikalische oder kulturelle Felder gibt, auf denen wir als Colos Saal nicht gut besetzt sind.
Was ist denn mit der musikalischen Landschaft im Allgemeinen? Das Hörverhalten des Publikums hat sich faktisch in den letzten 34 Jahren mehrfach massiv gewandelt…
…das wandelt sich ständig und ist eine dauerhafte Herausforderung. Tagesgeschäft!
Aber ist es dann auch so, dass du persönlich nicht mehr jeden Trend und jede neue Strömung bis ins Letzte mitverfolgst, weil du weißt, dass dein Team das genauso gut kann?
Da kann ich jetzt auch mal getrost Ja sagen! Dafür sitzen da vorne im Büro die richtigen Leute. Genauso wichtig ist aber auch die Frage, ob sich die wirklich großen neuen Strömungen im Pop tatsächlich auch auf Clubebene abspielen. Und das ist eher nicht so. Unser Programm besteht zum überwiegenden Teil aus Acts, die nicht wirklich Mainstream sind. Und dieses besetzten von Nischen macht extrem Spaß. Interessant ist das Thema, ob ein junges Publikum wirklich aus innovativen Hörern besteht – und auch hier machen wir andere Erfahrungen. Richtig interessante musikalische Tipps bekommen wir häufig von Besuchern aus der Altersgruppe 40-60. Die Leute mit den umfangreichen Sammlungen daheim, die überall mal reinhören. Wenn ich ausschließlich auf die jungen, aktuellen Themen hören würde, könnten wir ab und zu mal die f.a.n-Arena füllen, aber für den Club würde uns das gar nichts bringen.
Gutes Stichwort. Ihr habt ja mal eine Zeitlang größere Konzerte außerhalb veranstaltet. Die Ärzte in Kleinostheim…
…und Dieter Thomas Kuhn, Richie Blackmore und so.
Dieses Feld wurde nicht weiter ausgebaut. Wahrscheinlich bewusst, oder?
In den letzten Jahren nicht, denn du gehst mit jedem großen Konzert auch ein großes Risiko ein – das ist ja kein Geheimnis. Und dieses eine große Konzert im Monat könnte dein ganzes Monatsergebnis für den Club komplett verhauen. Wenn du auf der anderen Seite Jahrzehnte lang dafür gearbeitet hast, deinen Club und die Zahlen im Griff zu haben, bin ich auf dem Standpunkt, besser nicht zu pokern. (lacht)
Für so einen Menschen wie dich bedeutet doch eine solche rote Linie eine riesen Selbstdisziplin.
Stimmt, ich bin ein Mensch, der gerne Ideen umsetzt. Aber finanziell war ich schon immer total vorsichtig und bin damit stets gut gefahren. Ich bin vielleicht auch nicht gierig genug, immer mehr und mehr und mehr zu wollen. Was ich will – und da bin ich gierig – ist, genug zu erwirtschaften, dass alle die hier arbeiten, ordentlich davon leben können. Und das beständig. Allerdings, und da hast du Recht, denken wir mit der neuen Situation des langfristigen Pachtvertrages in Kombination mit jungem Personal und Max an unserer Seite auch darüber nach, was man neben dem Tagesgeschäft sonst noch so alles machen könnte.
Ach.
Wir sind mehr als glücklich, dass wir – ausgestattet mit der längsten Laufzeit unserer Geschichte - im Roßmarkt bleiben. Damit erfüllen wir auch den ausdrücklichen Wunsch unserer Gäste, die uns ziemlich klar mitgeteilt haben, dass der Colos Saal sich bitte nicht verändern soll, sowohl vom Standort als auch der Kapazität. Aber mit den fähigen Gedankenspielen aus den letzten Wochen gehen wir noch schwanger und können ganz entspannt darüber nachdenken, was noch so geht. Vielleicht auch eine zweite Location, die auch kleiner ausfallen könnte und nur für ganz ruhige Sachen gedacht ist. Wer weiß? Ob, wann, wie und wo – alles offen!
Dann sind wir mal gespannt! Danke für das Gespräch!