Der Aschaffenburger Verein ist seit 1993 einer der Hauptakteure in der hiesigen Hospizarbeit und Trauerbegleitung. Das Jubiläum sowie das geplante Hospizzentrum in der Schweinheimer Straße sind Anlässe, um die Arbeit etwas genauer zu beleuchten.
FRIZZ Das Magazin: Was steht zur Feier des 30-jährigen Jubiläums auf dem Plan?
Steffen Nauman: Wir möchten gerne ein ganzes Jahr durchfeiern und die Möglichkeit nutzen, mit verschiedenen Formaten, viele Menschen anzusprechen. Für jeden Monat sind ein bis zwei Veranstaltungen gesetzt. Es gibt eine Nachtführung, eine Lamawanderung, Benefizkonzerte und weitere Formate.
© Peter Baumann
Steffen Naumann
Steffen Naumann
Wie hat sich eure Arbeit seitdem weiterentwickelt?
Birgit Salefsky: Durch die gesellschaftliche Veränderung sind mehr Angebote dazugekommen. Wir sind mehr in Schulen präsent, mehr in Beratungen tätig. Viele fühlen sich mit den Aspekten Sterben, Tod und Trauer überfordert, wenn man in die Situation kommt, dass man zu pflegende Angehörige hat und können so damit besser umgehen. Außerdem gab es unsere heutige Arbeit auf der Palliativstation damals noch nicht.
SN: Wir spüren auch die veränderten Strukturen, die im Gesundheitswesen besser aufgestellt waren und sich durch den Fachkräftemangel und andere Ökonomisierungsdrücke verändern. Dadurch landen Menschen bei uns, die originär keine Zielgruppe wären, aber hier noch einen Ansprechpartner finden. Insbesondere durch und nach Corona.
BS: Die Beratung zum Thema Patientenverfügung ist seit Beginn deutlich mehr geworden. Es ist viel stärker im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen, Wir machen ungefähr 450 Gespräche im Jahr dazu.
SN: Was wir über die Jahre ebenfalls aufgebaut haben und worauf wir sehr stolz sind, ist ein Team aus Ehrenamtlichen zur Hospiz- und Trauerbegleitung, das inzwischen über 160 Personen umfasst. Diese haben bei uns alle eine Ausbildung gemacht und nutzen ihre Freizeit für Menschen, Betroffene und Angehörige, um die Situation am Lebensende begleitend zu unterstützen. Darüber hinaus gehört auch die SAPV-Versorgung zu uns. Wenn Menschen mit schweren Erkrankungen zuhause bleiben wollen, können sie einen Teilbereich von uns anfragen, nämlich die sogenannten Kollegen vom Palliativteam der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, die dann mit Medizinern, Seelsorgern, Pflegekräften nachhause kommen – immer mit dem Ziel, dass die Menschen trotz schwerster Erkrankung und hoher Symptomlast zuhause versterben können. Das ist ein eigenes Segment, das die Hospizgruppe ergänzend zur Palliativstation vor genau zehn Jahren ins Leben gerufen hat.
© Peter Baumann
Birgit Salefsky
Birgit Salefsky
Das Selbstverständnis eurer Arbeit zielt auf Beratung und Begleitung. Wie lassen sich Betroffene sowie deren Angehörige für die Thematik des Sterbens sensibilisieren und auf ihrem Weg unterstützen?
BS: Wenn man bei uns vorstellig wird – sei es, wenn sie selbst anrufen oder ein Kontakt über den Pflegedienst zustande gekommen ist – sind sie mit der Situation meistens schon konfrontiert. Das heißt, sie haben jemanden, der am Lebensende ist. Beispielsweise, wenn ein Angehöriger aus dem Krankenhaus entlassen wird und man Hilfe benötigt. Die Leute sind in der Situation sehr offen, dankbar und lassen sich ganz gut abholen und beistehen. Wir bieten seit einigen Jahren die sogenannten Letzte-Hilfe-Kurse an. Das ist ein europaweites Modell, mit dem wir niedrigschwellig das Wissen nahebringen und erklären, wie man jemanden am Lebensende versorgt. Diese dauern zwei Abende, sind gut besucht, auch von Menschen, die noch niemanden mit Aussicht zur Pflege haben und sich einfach für das Basisgrundwissen interessieren.
Die Planung des neuen Hospiz- und Palliativzentrums befindet sich bereits in vollem Gange. Wie hat sich der Bedarf einer solchen Einrichtung geäußert?
SN: In unserer Vereinssatzung steht, dass ein Auftrag – neben der Patientenversorgung, neben der Angebotsentwicklung – darin besteht, konsequent zu schauen, wo sich die Gesellschaft hin entwickelt. Wo entstehen neue Bedarfe? Wo sind Versorgungslücken? Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es eine Veränderung der Bedürfnisse gibt. Menschen würden gerne trotz schwerer Erkrankung sehr lange zuhause bleiben. Dazu benötigt man neben vollstationären ebenfalls teilstationäre Angebote. Deshalb die Idee eines solchen Tageshospizes. Das ist ein Baustein im neuen Hospizzentrum. Menschen können zuhause bleiben und tagsüber die Möglichkeit nutzen, palliativmedizinisch, pflegerisch, psychosozial begleitet zu werden. Zusätzlich wird es Hospizappartements geben, wo man als Mensch das Netzwerk nutzen, aber so selbstständig wie möglich leben kann.
BS: Ein Teil des Neubaus wird ein sogenanntes Begegnungszentrum. Dort wird es Räume geben, die wir selbst für Vorträge, Fortbildungen, Schulungen benötigen. Wir wollen die Räume aber auch für umliegende Selbsthilfegruppen anbieten, damit sich alle, die an der Versorgung für Menschen am Lebensende beteiligt sind, gut miteinander vernetzen können.
SN: Was ein wichtiges Ziel ist – woran wir mit dem neuen Zentrum arbeiten – dass die Menschen uns noch besser wahrnehmen und über unser breites Angebot Bescheid wissen, dass sie nicht erst in der Krisenzeit auf Hospiz- und Palliativdienste zugreifen, sondern möglichst frühzeitig Kontakt suchen. Es hat sich gezeigt, dass eine Versorgung besser sichergestellt und geplant werden kann, je mehr Vorlaufzeit da ist.
Entwurf Neubau Hospizzentrum
Entwurf Neubau Hospizzentrum
Welche neuen Aufgaben kommen auf euch damit zu?
BS: Das erwähnte teilstationäre Hospiz ist ein recht junges Konzept in Deutschland. Es gibt noch nicht viele davon. Das ist auf jeden Fall genauso wie die Hospizappartements – wovon ich nicht wüsste, dass sie sonst noch irgendwo existieren – ein neues Aufgabengebiet, das sich gestaltet.
SN: Das wird ein spannendes Experiment. Wir sind mit den Ministerien im Gespräch. Diese sind interessiert, es als Modellprojekt aufzunehmen, weil es eine Leuchtturmfunktion Richtung Bayern besitzt. Wir sind gespannt, wie es von der Bevölkerung und den Patienten angenommen wird und wie die Angebotsgestaltung für eine attraktive Nutzung umsetzbar ist.
BS: Unser Kernstück ist das Ehrenamt, ohne das wir unsere Aufgaben nicht leisten könnten. Für die Ehrenämtler wird es ebenfalls neue Arbeitsfelder beispielsweise im psychosozialen Bereich, in der Infrastruktur, oder als Pate für die Appartementbewohner geben. All das gilt es, von uns zu begleiten und einen guten Rahmen für die Ehrenamtlichen zu schaffen.
Ihr seid Vorreiter mit dem teilstationären Hospiz?
SN: Ja. In Bayern gibt es augenblicklich eins in Nürnberg und eins in Vilsbiburg. Von daher wären wir dann das Dritte. Die laufen allerdings noch als Modell. Sie sind also noch nicht in der Regelfinanzierung wiederzufinden. Es ist auch eines unserer Ziele, zu erreichen, dass es eine solche Regelfinanzierung für diese Versorgungsform geben wird.
Wie kann man als ehrenamtlicher Hospiz- oder Trauerbegleiter tätig werden?
SN: Es gibt vielfältige Formen. Vorausgesetzt ist eine Qualifizierung, die wir in den verschiedensten Bereichen anbieten. Wir freuen uns, weil es nach wie vor den Kern unserer Arbeit ausmacht, unseren Charakter darstellt. Wir als Hauptamtliche sind dafür verantwortlich, dass die Strukturen bestehen bleiben. Wir führen Erstgespräche und Hausbesuche, aber die Begleitung durch Menschen für Menschen wird von unseren Hospiz- und Trauerbegleitern durchgeführt. Wer Interesse hat für die Arbeit, ist herzlich willkommen. Es gibt immer ein persönliches Informationsgespräch und darin können wir gleich mitteilen, wie die weiteren Rahmenbedingungen sind und wann der nächste Kurs angeboten wird. Wir haben jetzt im Jubiläumsjahr eine im Sommer startende Ausbildung geplant. Da sind noch Plätze frei.
Wie lang dauert eine solche Ausbildung?
SN: Die Ausbildung umfasst 100 Unterrichtseinheiten.
BS: Dieser Qualifizierungskurs für Hospizbegleitung ist die Grundlage für alle weiteren ehrenamtlichen Aufgaben wie Trauerbegleitung und Beratung zum Thema Patientenverfügung.
SN: Genau. Der Kurs ist die Basis und dann kann ich mich weiter spezialisieren oder aufbauend weiterbilden.
Wie ist die Idee für euren Podcast entstanden?
SN: Es ist einerseits wegen Corona entstanden. Wir wollten die modernen Medien nutzen, um Kontakte mit möglichst wenig Infektionsketten zu gestalten und andererseits auch, um gezielt jüngere Menschen als Publikum anzusprechen. So kam es dazu, dass wir relativ konstant einmal im Monat oder alle zwei Monate versuchen, eine Folge livezustellen.
BS: Und scheinbar haben wir auch eine hohe Hörerzahl.
SN: Es stößt auf einen Nerv. Obwohl im Alltag wieder Kontakte möglich sind und man vieles in Präsenz wahrnehmen kann, wird es noch gut aufgenommen.
Welche Inhalte besprecht ihr in eurem Podcast?
BS: Angefangen haben wir mit grundlegenden Sachen: Was ist die Hospizgruppe? Wie sieht die Arbeit aus? Dann gab es eine Folge zum Thema Beratungen, wie diese gestaltet werden und weshalb sie existieren. Der Aspekt, dass viele Menschen am Lebensende nicht mehr essen und trinken möchten, was vielen Angehörigen Angst bereitet und wie diese damit umgehen können, wurde ebenfalls besprochen. In einem Podcast werden die Letzte-Hilfe-Kurse vorgestellt. Jetzt gerade ist Trauerarbeit ganz frisch dabei.
SN: Urban Priol liest einen Erfahrungsbericht eines Ehrenamtlichen. Wir versuchen möglicht breit, Einblick in die hospizliche Struktur zu geben, Hemmschwellen zu senken, Menschen zu motivieren, unsere Geschäftsstelle zu besuchen und sich beraten zu lassen.
FRIZZ Das Magazin bedankt sich herzlich für das informative Gespräch.