Direkt zum Einstieg ein Warnhinweis: Personen mit schwachen Nerven und Empfindlichkeitsreaktionen auf historische Daten könnten im folgenden Absatz getriggert werden, daher sollten diese bitte erst im dritten Absatz mit dem Lesen beginnen. Für den Rest ein paar spannende Fakten aus einer Zeit, als nicht nur Aschaffenburg, sondern das ganze Land um eine bedeutende Kulturstätte reicher wurde.
September 1998 – ein Monat voller prägender Ereignisse
Im historischen Monat der jüngeren Geschichte war also ordentlich was los. Die CSU holte bei den Landtagswahlen in Bayern knapp 53% (die SPD knapp 29%), Meck-Pomm bekommt die erste rot/rote Regierung der Republik, auf Bundesebene erzielt die SPD über 40% und Gerhard „Acker“ Schröder wird Bundeskanzler in der ersten rot/grünen Regierung. Gleichzeitig nimmt die PDS (aka die Linke) erstmals im deutschen Bundestag Platz. Was. Für. Zahlen! Und ob das alles noch nicht genug Superlative sind, geht Ede Stoiber in die dritte Amtszeit, der KIKA sendet die erste Folge „Schloss Einstein“ (die „Lindenstraße“ der Kids & Teens), in irgendeiner amerikanischen Garage wird ein wildes Start-up namens „Google“ geboren und Erich Ribbeck übernimmt für Berti Vogts. Bei all diesen Entwicklungen ist nichts anderes folgerichtig und konsequent, als dass in Aschaffenburg das Hofgarten Kabarett erstmals seine Türen öffnet.
© Tim Stöckinger; TEVI Media
Hofgarten Kabarett
Vom ehemaligen Kino zu einer der führenden Bühnen des Landes
Urban Priol renovierte gemeinsam mit seiner Frau das alte Kinogebäude, baute es zur Kabarettbühne um und führte es bis 2003 in Eigenregie, um es dann in die erfahrenen und guten Hände seines Freundes Axel Teuscher zu übergeben. Seit seiner Gründung hat das Haus nicht nur nahezu alle klingenden Namen des deutschen Humorfachs unter seinem Dach präsentiert, sondern sich zurecht in der obersten Liga der kabarettistischen Spielstätten des Landes etabliert. Neben den Gastspielen beherbergt das Hofgarten mit „Tetra-Pack“ und dem „Lagerfeuerklavier“ auch eigene Veranstaltungsreihen, ist Ort zahlreicher TV-Aufzeichnungen und bietet ausgewählten Musik- und Benefizevents eine Heimat.
Über ein Vierteljahrhundert Humor in Aschaffenburg, unvergessliche Momente, beeindruckende Zahlen und die gesellschaftliche Bedeutung des Hauses hat FRIZZ Das Magazin mit Axel Teuscher, Geschäftsführer der Humorbrigade Hofgarten GmbH und Kulturarbeiter durch und durch, gesprochen.
© Stefan Gregor
Axel Teuscher
FRIZZ Das Magazin: Lieber Axel, 25 Jahre in der Live-Unterhaltung sind eine wirklich großartige Leistung – mit welchen Erwartungen seid ihr damals an den Start gegangen? War es das ausdrückliche Ziel, eines der renommiertesten Häuser der Republik zu werden oder wollte man „einfach mal schauen“, wie sich das entwickelt?
Axel Teuscher: Das Ziel war es, einem Genre, das in Aschaffenburg damals deutlich unterrepräsentiert war, eine feste Bühne zu geben. Kabarett und Comedy war Ende der 90er schon sehr populär, Urban Priol wurde immer bekannter. Und mit ihm viele andere, wie das Pfarrer(!)kabarett oder Norbert Meidhof. Nur regelmäßig spielen konnten sie damals noch nirgends, das wollten wir ändern.
Hast du spontan einen groben Überblick, wie viele Acts in den vergangenen 25 Jahren bei euch auf der Bühne standen?
Wir kommen mittlerweile auf ca. 4.000 Vorstellungen, die wir veranstaltet haben. Mit sicher um die 1.000 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern.
Kleiner Griff in die Anekdotenkiste: Welche Abende sind dir in absoluter Erinnerung geblieben – und warum?
Das sind etliche, vor allem deswegen, was auf der Bühne gezeigt und gesprochen wurde. Die ersten Gastspiele von Martina Schwarzmann vor 16 Zuschauern oder auch die Premiere von Egersdörfer. Damals schon verstörend direkt und absolut hochklassig. Natürlich auch Dieter Hildebrandt, Gerhard Polt, Roger Willemsen – alles großartige Satiriker! Und dieser eine Abend mit Suchtpotenzial. Mitten in der Show gab es einen Stromausfall. Die Notbeleuchtung ging an, Rollos auf, sonst ging zunächst nichts mehr. Die beiden Frauen spielten einfach weiter. Unplugged. Als Grund für den Stromausfall gaben sie an, Urban Priol hätte versucht, seine Wäsche mal selbst zu waschen und zu bügeln. Als der dann später als Gast in die wieder „normale“ Veranstaltung reinschaute, gab es Riesengelächter für und über den Ahnungslosen.
Gibt es Künstler, die du schon immer mal bei euch live auf der Bühne haben wolltest, was aber bisher einfach nicht klappen wollte? Oder bekommt ihr sie alle, früher oder später?
Auch im Kabarett und der Comedy gibt es natürlich immer wieder neue Entwicklungen. Veränderungen zu spüren und aufzunehmen, ist wichtiger, als die Köpfe, die diese transportieren. Aktuell gesehen wären es beispielsweise Künstler wie El Hotzo oder Danger Dan, die ich gerne mal nach Aschaffenburg holen würde.
Ihr seid für sehr viele Künstler ein verlässlicher Partner auf ihrem Weg. Bei wem hast du sofort gewusst, dass eine großartige Karriere folgt?
Da gibt es einige: Bülent Ceylan, Erwin Pelzig, Martina Schwarzmann, Michl Müller, Matthias Egersdörfer, Christian Ehring, Suchtpotenzial oder jüngst Teresa Reichl … in 25 Jahren waren es viele!
Ihr bietet Raum für Benefizevents, veranstaltet in anderen Locations der Region, engagiert euch für die gute Sache und präsentiert auch ab und zu musikalische Highlights. Wie wichtig ist dieser Blick über den Tellerrand sowohl für euch persönlich als auch für die Kulturlandschaft allgemein?
Die Künstler auf unserer Bühne betrachten unsere Gesellschaft immer wie in einem Brennglas. Sie nehmen politische Entwicklungen auf, überzeichnen diese und entlarven sie dadurch als das, was sie sind: Absurdes, aber leider auch gefährliches Theater. Da kann man sich als Teil unserer Stadtgesellschaft nicht raushalten. Jüngstes Beispiel, die immer bedrohlicher werdenden Aufmärsche der Schwurbler und Leerdenker. Massiv durchsetzt von Neonazis und Faschisten. Wenn wir Demokratie, Toleranz, Vielfalt, Diversität und Pluralismus in Aschaffenburg und anderswo erhalten wollen, müssen wir uns einmischen. Der Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft etwas entgegensetzen. Unser Slogan: Aschaffenburg bleibt bunt. Punkt!
Du arbeitest hauptberuflich im Humor-Fach. Worüber kannst du selbst am meisten lachen?
Humorvolle, aber auch hintergründige Filme. Loriots Meisterwerke, Monty Python, Gerhard Polts „Man spricht Deutsch“. Aber sehr oft auch über meine Frau mit ihrem trockenen, schnellen Humor!
Vielen Dank, wir wünschen euch von Herzen alles Gute für die nächsten 25 Jahre!