
FOTOS: Masson, Fotolia.com (Titelbild), Steffen Reus (Personen)
„SHOULD I STAY OR SHOULD I GO?“
Es ist ein Phänomen, das den Aschaffenburgern gut bekannt ist: Im Stadtbild sind Menschen zwischen 20 und 30 seltsam unterrepräsentiert. Nach wie vor verlassen gefühlt ganze Abiturjahrgänge beinahe geschlossen die Stadt. Und das trotz all der Dinge, die Aschaffenburg so besonders machen.
Eigentlich kann sich das Image Aschaffenburgs durchaus sehen lassen. Eine 2002 vom „Stern“ durchgeführte Umfrage bescheinigte der Stadt am Mainknie „Deutschlands beste Lebensqualität“, der örtlichen Wirtschaft werden im „Prognos Zukunftsatlas“ „sehr hohe Zukunftschancen“ vorausgesagt. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit in der Stadt mit aktuell 3,9 Prozent sehr gering, die Einwohnerzahl bewegt sich langsam, aber stetig in Richtung der magischen 70.000er-Marke. Auch kulturell kann man sich sehen lassen: Das renovierte und aufgehübschte Stadttheater könnte irgendwann tatsächlich eine wichtige Rolle im Stadtleben spielen, das umtriebige Colos-Saal-Team freute sich erst vor Kurzem über den Live Entertainment Award 2013 und die Strahlkraft des Hofgarten Kabaretts unter Urban Priol reicht weit über den Bayerischen Untermain hinaus. Dazu kommen noch das Schloss Johannisburg, bei dessen Anblick nicht nur Rapper Olli Banjo „das Herz aufgeht“ sowie der Schönbusch als reizvolles Naherholungsgebiet. Von den zahlreichen, liebevoll aufgezogenen Festivals in Stadt und Landkreis gar nicht zu reden.
Alles prima also im Bayerischen Nizza? Nun, Sexappeal sieht irgendwie anders aus. Denn was bringen all die Umfragen und ach so wichtigen Standortfaktoren, wenn Aschaffenburg den Mief eines Provinznests verströmt? Seit Jahren tobt ein Streit zwischen Partygängern und lärmgeplagten Anwohnern der Innenstadt. Bisheriger Tiefpunkt: Am 17.9. beschloss der Stadtrat ein striktes Alkoholverbot für die Aschaffenburger Innenstadt für die Zeit von 22–6 Uhr. Besonders absurd: Nicht nur das Trinken, auch das Herumtragen von Alkohol ist in dieser Zeit verboten. Was in Freiburg schon vor Jahren gescheitert ist, gilt hier nun als der Weisheit letzter Schluss.
Die mittlerweile beinahe 3.000 Studenten der Hochschule werden sich freuen – glücklicherweise ist in Aschaffenburg gerade das Entstehen einer WG-Kultur zu beobachten. Doch die Stadt nimmt ihre eigenen Stärken nicht wahr. Zu wenig Raum wird der Kreativität eingeräumt, zu wenig Unterstützung erfahren Selbstverwaltung und Eigeninitiative. Das Ende der Unsagbar wäre hier exemplarisch zu nennen. Dabei gab und gibt es Menschen in der Region, die hier etwas bewegen möchten – trotz oder gerade wegen der vielfältigen Widerstände.
Ungeachtet aller Kritik: Kaum jemand, der hier aufgewachsen ist, verliert ein schlechtes Wort über seine Heimatstadt. Aschaffenburg bleibt emotionales Zentrum und wichtiger Fixpunkt, auch und gerade für die Weggezogenen. Doch lassen wir drei ehemalige Abiturienten aus der Stadt für sich sprechen. Ob gehen oder bleiben, vielleicht sogar zurückkommen – das muss dann jeder selbst entscheiden.
Michaela Schmitt wuchs in Eichenberg auf und besuchte das Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach, flüchtete dann aber über die Grenze auf die Bachgauschule in Babenhausen. Nach ihrem Studium in Würzburg zog sie nach Heidelberg, wo sie heute als Lehrerin für verhaltensoriginelle Kinder an einem Körperbehindertenzentrum arbeitet.
AB ist für mich …
„… diese wunderbare Mischung aus guter Laune, unglaublich hoher Selbstüberzeugung gepaart mit einem guten Maß an Sarkasmus (auch gegenüber sich selbst), Gemütlichkeit, fast schon hippiemäßiger sozialer Ader sowie dem ständigen Drang nach Kommunikation. Einfach liebenswert.“
Unverzichtbar in AB ist …
„…Schlabbesebbl uuuuund KOMMZ!!!“
Ich vermisse …
„… Menschen, die das wunderbare Getränk Äbbler zu schätzen wissen. Und natürlich diese wundervolle Sprache! Erst in meiner Zeit in Würzburg wurde ich liebevoll darauf aufmerksam gemacht, dass der gemeine Aschaffenburger (ich war bis dahin sehr überzeugt davon!) KEIN Hochdeutsch spricht.“
Das müsste passieren, damit ich zurückkomme:
„Ei wenn misch einer abholt …“
Einem Außerirdischen würde ich AB in einem Satz so beschreiben:
„Einfach losbabbeln, dann denken sie du bist einer von ihnen.“
Ein Wort zu AB:
„SchwätzemitdeLeut.“
Immer wieder gerne gehe ich …
„… ins Bambel! Ich würd’ mal sagen, erstmal was Gutes essen im Bambel (vorausgesetzt es ist Mittwoch), dazu Bierchen, warm reden, dann vielleicht ins Colos (wenn was Gutes spielt), später Gully. Echt schwere Frage … aber zum Schluss ins Dead End! Gibt’s das noch? Echt legendäre Kneipe! Da werd’ isch ganz sendimendaal …“
Mein Lieblingsort in AB:
„Eigentlich immer die Treppenstufen vor dem Bahnhof, eröffnet wundervolle Stadtansichten, sehr empfehlenswert … Aber die wurden wohl platt gemacht. Sonst natürlich Carrom spielen und Kaffee trinken, damals noch rauchend (selbst oder einfach durch Einatmen) im Schwarzen Riesen. Da kann man dann sanft überleiten zum ersten Bier.“
Wäre AB ein Tier, dann wohl …
„… vielleicht eine Ameise? Ganz schön klein, aber trotzdem robust. Ständig am rumwuseln, meistens im Pulk unterwegs, ständig am Kommunizieren mit den anderen, im Bau isses warm und heimelig und jeder kümmert sich. Droht Gefahr, rottet man sich zusammen und pisst den Eindringling mächtig an. Aber wer dazugehört, wird liebevoll umsorgt.“
Der perfekte Tag in AB:
„Ich erwache in der Gluthitze eines späten Sommervormittags. In der Ferne schreit irgendein Depp ,Helga!!!‘ – ach so, nee. Ein perfekter Tag. – Also, der Depp fällt bevor er ,Helga!!!‘ schreien kann in ein Schlammloch und bleibt komatös liegen. Ich suche meinen zweiten Schuh, bin aber zu müde und zufrieden, um mich wirklich anzustrengen, denn überall Love and Peace in der Luft. Ich erfreue mich meines schmerzfreien Schädels, denn letzte Nacht nur Äbbler pur! In die Sektbar hab ich’s gottlob nicht mehr geschafft. Durch staubige Straßen, belagert von noch Wachen, schon wieder Wachen und noch nie Wachgewesenen, bahne ich mir den Weg zum Kaffeestand. Das Grinsen im Gesicht wird breiter, denn Apfel-Streusel ist noch da! Auf der Bühne Sonntagsjazz. Wippende Köpfe, vereinzelt (unglaublich!) auch schon wippende Körper … That’s it! Umgeben von Aschaffenburgs HippiePunkFamilyKommune starte ich in einen perfekten Tag.“
Stay or go?
„Mal sehen. Vielleicht ein Comeback?“
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Rafael Herbrik machte 1998 am Friedrich-Dessauer-Gymnasium sein Abitur und studierte anschließend Jura in Frankfurt. Während seines Studiums wohnte er in Stockstadt, wo er heute immer noch lebt und für die SPD im Gemeinderat sitzt. Er arbeitet als selbstständiger Rechtsanwalt in Aschaffenburg.
AB ist für mich …
„… die Stadt, in der ich zur Schule gegangen bin und in der ich heute arbeite. Außerdem habe ich hier einen Großteil meiner Jugend verplempert.“
Unverzichtbar in AB ist …
„… der Schönbusch, die Kneipen (Schlappeseppel, Bambel, Dead End, Colos-Saal, …), das Schloss und das Volksfest.“
Ich vermisse …
„… ein bisschen liberalen Geist, der einer Stadt, die sich gern Bayerisches Nizza nennt, sicher gut stehen würde.“
Das müsste passieren, damit ich weggehe:
„Zum Weggehen ist es für mich zu spät. Ist aber auch nicht schlimm.“
Einem Außerirdischen würde ich AB in einem Satz so beschreiben:
„Hier gibt es so gut wie alles, kein Grund weiter zu schauen.“
Ein Wort zu AB:
„Metroprovinziell.“
Folgende Schlagzeile würde ich gerne über AB lesen:
„Aschaffenburg ab heute Hauptstadt von Unterfranken!“
Immer wieder gerne gehe ich …
„… an den Mainwiesen entlang.“
Mein Lieblingsort in AB:
„An einem schönen klaren Morgen die Willigisbrücke wegen der Aussicht von dort.“
Wäre AB ein Tier, dann wohl …
„… uff, keine Ahnung, vermutlich irgendein mittelgroßes Säugetier.“
Der perfekte Tag in AB:
„Morgens bei Sonnenschein durch die kleine Schönbuschallee radeln, dann ein erfolgreicher Arbeitstag und abends mit ein paar Freunden den Tag im Biergarten ausklingen lassen.“
Stay or go?
„Stay.“
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Stefan Grünewald ist in Damm aufgewachsen. Er besuchte die Schillerschule und das Friedrich-Dessauer-Gymnasium. Mit 20 ging er zum Studieren nach Marburg, anschließend nach Frankfurt zum Arbeiten. Seit 2009 ist er beim bayernhafen Aschaffenburg im Bereich Controlling und Grundstücksmanagement tätig. 2011 ist er wieder komplett zurückgezogen und wohnt seitdem im Brentanoviertel.
AB ist für mich …
„… das Alpha und gut möglich auch das Omega.“
Unverzichtbar in AB ist …
„… der Hafen natürlich!“
Ich vermisse …
„… einen Alternative-Keller mit komischen Gestalten und guter Musik.“
Das müsste passieren, damit ich weggehe:
„Robin Dutt braucht noch eine Verstärkung fürs Mittelfeld oder meine Traumfrau sucht noch einen Mitbewohner für ihre Strandvilla.“
Einem Außerirdischen würde ich AB in einem Satz so beschreiben:
„Hier gibt’s Schlappeseppel außer im Schlappeseppel.“
Ein Wort zu AB:
„Schlappeseppel.“
Folgende Schlagzeile würde ich gerne über AB lesen:
„Wegen zu großer Nachfrage Pearl-Jam-Konzert vom Colos-Saal auf den Volksfestplatz verlegt!“
Immer wieder gerne gehe ich …
„… in einen unserer Biergärten und ins Bambel.“
Mein Lieblingsort in AB:
„Hauptsache mit Schlossblick!“
Wäre AB ein Tier, dann wohl …
„… ein Arschäffchen.“
Der perfekte Tag in AB:
„Im Nilkheimer Park, Anfang August.“
Stay or go?
„Come back“.