
Foto: Anika Koppenstedt
„MIR WAREN MENSCHEN IMMER WICHTIGER ALS BAUTEN“
FRIZZ Das Magazin: Sie sind seit ziemlich genau 14 Jahren nicht mehr im Amt. Wie lebt es sich als politischer Pensionär – können Sie es genießen?
Dr. Willi Reiland: „Ich genieße das Pensionisten-Dasein. Ich habe von Anfang an gesagt, ich bin immer in der zweiten Reihe, ich werde mich nicht mehr nach vorne drängen. Le roi est mort, vive le roi. Das ist ein wichtiger Grundsatz. Ich komme sehr gut damit zurecht. Es hilft natürlich, dass ich das Gefühl habe, dass ich nicht vergessen bin. Wenn ich durch die Stadt marschiere, habe ich immer Leute, die mich grüßen, das ist schön. Und es sind nicht nur ältere Menschen, auch jüngere.“
Bei den bayerischen Kommunalwahlen 2014 gab es keinen klaren Gewinner. Bei den Wahlen zum Aschaffenburger Stadtrat schon: Grüne und ÖDP haben auf Kosten von CSU und FDP zugelegt. Würden Sie von einem „Linksruck“ sprechen?
„Eigentlich nicht. Ich habe im kommunalen Bereich eine andere Zählweise. Da gibt es keine Fraktionen, keine Opposition und Regierung, da gibt es nur Stadträte – und da ist jeder Stadtrat, egal, wo er steht, so viel wert wie der andere. Für mich war nie entscheidend, welche Partei zugelegt oder verloren hat, sondern welche Leute reinkommen.“
Erwarten Sie aus der neuen Zusammensetzung strategische oder machtpolitische Konsequenzen?
„Nein.“
Wer wird – Ihrer Meinung nach – neuer Bürgermeister?
„Werner Elsässer ist ein super Mann mit großen Fußstapfen. Es wird nicht ganz einfach sein, in diese Fußstapfen reinzukommen – egal, wer es macht. Viele fühlen sich berufen, aber nur einer wird auserwählt. Ich kann nicht sagen, wer es wird. Ich hoffe aber, dass deswegen kein Porzellan zerschlagen wird. Dass man daran denkt, dass auch in den nächsten sechs Jahren wieder vernünftige Mehrheiten zustande kommen müssen. Nicht in der Regierungsbildung, sondern von Fall zu Fall.“
Das heißt, Sie empfehlen Ihrer Partei, der SPD, nicht, diesen Posten anzustreben?
„Es hat dieser Stadt gut getan, dass seit 1988 die zwei größten Parteien ihre Repräsentanten in die Verantwortung geschickt haben. Mittlerweile sind es teilweise sowieso nur noch Nuancen, die die Parteien unterscheiden. Da schleift sich sehr vieles ab. Es ist immer die vernünftigste Denkweise, die sich am Ende durchsetzt – wenn auch vielleicht verzögert.“
Die Wahlbeteiligung ist in Aschaffenburg Stadt (37,14 %, Quelle: www.aschaffenburg.de) auf ein Rekordtief gesunken. Ist hier alles so toll oder interessiert es einfach niemanden mehr, was unsere Lokalparlamente und unser Oberbürgermeister/Landrat treiben?
„Ich habe mich auch in meinem Bekanntenkreis – und da gibt es übrigens nur sehr wenige SPD-Wähler – umgehört. Selbst von denjenigen, die ich als sehr verantwortungsvoll im Beruf einschätze, wurde mir oft gesagt: ,Naja, das läuft schon.‘ Die letzte große Auseinandersetzung war die um den Ausbau der Darmstädter Straße. Aber das war auch die einzige. Grüne Belange vertreten irgendwo alle Parteien heute. Jeder, der heutzutage meint, er hätte Ideen gepachtet, der übersieht, dass auch die anderen an etwas denken. Diese harten, auseinanderstrebenden Denkweisen gibt es im kommunalen Bereich kaum noch. Daher kann ich es teilweise nachvollziehen, wenn viele im kommunalen Bereich sagen: Naja, das läuft schon.“
Obwohl es – zumindest auf den Listen der großen Parteien – Bemühungen gab, das Durchschnittsalter zu verjüngen, hat das der Wähler kaum honoriert. Warum gelingt der Generationenwechsel in Aschaffenburg nicht (durchschnittliches Alter des auslaufenden Stadtrats 61,09 Jahre, des neu gewählten 56,68 Jahre, Quelle: Stadt Aschaffenburg)?
„Ich finde es schade, dass der Wechsel nicht gelingt. Aber es ist eben auch so, dass man sich, wenn man jung ist, auch schon profiliert haben muss, wenn man ein solch verantwortungsvolles Amt anstrebt. Bestes Beispiel ist hier bei der letzten Stadtratswahl 2008 Jennifer Friebe. Sie wurde aus der Katholischen Jugend und dem Stadtjugendring heraus ganz hervorragend in die SPD gewählt.“
Wen sehen Sie als Nachfolger von Klaus Herzog?
„Niemanden. Es ist noch viel zu früh. Bis zur Wahl vergeht noch viel Zeit. Ich habe auch erst im August ’69 beschlossen, für die Wahl im März 1970 zu kandidieren. Es muss auch jemand sein, der das unbedingt will. Wir haben so viele Aschaffenburger, die irgendwo bedeutende Positionen haben. Eine gebürtige Haibacherin beispielsweise ist heute Bürgermeisterin in Nordrhein-Westfalen. Solche Leute können plötzlich auftauchen. Und vielleicht schlummert ja irgendwo jemand, der für die Wahl 2020 zur Verfügung steht und mit dem man jetzt noch gar nicht rechnet.“
Warum waren Sie damals gegen den Eintritt in den RMV (Rhein-Main-Verkehrsverbund)?
„War ich nicht. Ich weiß nicht mehr, woran es gescheitert ist. Vielleicht habe ich irgendwann einmal gesagt, dass man abwarten muss, wie es sich entwickelt. Aber aus meiner Sicht könnte man es heute noch einmal probieren.“
Sie sind der Vater mehrerer Großprojekte in Aschaffenburg: Ringschluss, Raiffeisen Wohnbau/Theaterplatz, Hauptbahnhof, Stadthalle. Sind Sie im Nachhinein mit diesen zufrieden und würden Sie sie heute wieder so machen?
„Ja. Wobei ich den Bahnhof abgeben muss, das war mein Nachfolger. Ich kann nicht alle Lorbeeren ernten. Ich möchte mal weg von diesen Projekten. Mir waren Menschen immer wichtiger als Bauten – und das ist leider manchmal untergegangen, weil immer die Bauten im Vordergrund standen, die ich alle wieder genauso realisieren würde. Was mir aber viel wichtiger war: Wir haben uns zum Beispiel mit den früheren jüdischen Bürgern wieder versöhnt. Ich bin stolz darauf, dass wir jedes Jahr 30 Sozialhilfeempfänger in der Stadt angestellt und ihnen somit eine Perspektive geboten haben. 1990 haben wir die erste Kinderkrippe ,Mäuschen‘ in Aschaffenburg bezuschusst. Keine Stadt weit und breit hat das damals gemacht. Da waren wir absolute Vorreiter. Das sind Dinge, auf die bin ich viel stolzer als auf die Bauten.“
Welches Projekt liegt Ihnen für die Zukunft am Herzen?
„Wir müssen uns im Bereich des Sozialen Wohnungsbaus nach wie vor vergegenwärtigen, dass wir auch in Zukunft eine große Zahl von Familien haben werden, die nicht privat mieten können. Es liegt mir sehr am Herzen, diesen Familien zu helfen.“
FRIZZ dankt für den Besuch.