
„JEDES PROJEKT IST EIN MYSTERIUM“
Viel mehr als purer Daddelspaß: Während die einen noch hirnlosem Geballer frönen, widmen sich andere längst der Kunstform Computerspiel. So auch der Ex-FRIZZ-Mediengestalter-Azubi Marius Winter, der früh Gefallen an der interaktiven Filme-macherei gefunden hat und sich auch schon bei der Spieleschmiede „Telltale Games“ in San Francisco kreativ austoben durfte. Höchste Zeit also, dem 28-jährigen Game Designer mal auf den Zahn zu fühlen.
FRIZZ Das Magazin: Stimmt es, dass du durch deinen Vater Feuer für die bunte Welt der Computerspiele gefangen hast?
Marius Winter: Oh ja, der Robbi hatte viele Adventure Games auf unserem alten Atari-ST, also storylastige Spiele, bei denen man Rätsel und Puzzles lösen musste. Ich guckte ihm als Kind immer zu. Das waren tatsächlich bunte Welten, nach denen ich süchtig wurde. Verstanden habe ich gar nix, ich konnte noch nicht lesen und die Rätsel waren zu kompliziert … Zu Weihnachten hat er mir dann mein erstes eigenes Adventure Game geschenkt: „The Secret of Monkey Island“. Was für ein Spiel!
Du bist ein großer Fan von „Monkey Island“. Was macht die fünfteilige Grafik-Adventure-Reihe so besonders?
In erster Linie wurde „Monkey Island“ einfach Kult, es war damals das cleverste designte Adventure Game seiner Zeit. Die „Regeln“, die Designer Ron Gilbert aufstellte, haben den Großteil des Genres bis heute beeinflusst und inspiriert.
„Monkey Island“ gilt als gewaltfrei – im Gegensatz zu den zahlreichen anderen Ballerspielen, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Was hältst du von solchen Games?
Oh, der Held Guybrush aus „Monkey Island“ ist auch nicht ganz unschuldig, vielleicht gewaltfrei, aber absolut kein Vorbild. Er sägt zum Beispiel das Holzbein eines schlafenden Piraten ab und stiehlt Knochen aus einem Grab. Gewalttätige Spiele sind ein eigenes Genre, nur dominieren sie momentan noch die Landschaft. Wir bewegen uns aber jetzt immer schneller auf eine gleichgewichtigere Verteilung zu, jetzt, da Games mehr und mehr als Kulturgut akzeptiert werden.
Kritiker führen häufig an, dass Computerspiele Fans zu vereinsamten Zockern werden lassen. Was hast du dem Argument entgegenzusetzen?
Klingt für mich eher nach einer oberflächlichen Behauptung, die nicht so sehr mit der Materie in Verbindung steht. Es gibt Spiele, die Suchtpotenzial haben und zu Vereinsamung führen können – aber das können alle anderen Medien auch. Das kann man sicher auch von Büchern behaupten. Zudem tritt das gemeinsame Spielen mehr und mehr in den Vordergrund.
Bis Februar 2009 hast du deine Ausbildung zum Mediengestalter Digital & Print bei der MorgenWelt Kommunikation & Verlags GmbH absolviert. Wie ging es danach weiter?
Zuerst habe ich ein Praktikum als Produktionsassistent von Werbefilmen in Frankfurt gefunden – das ging voll in die Hose, weil ich in Producer-Jobs ganz schön untalentiert bin. Wenn man Angst vor Telefonen hat, sollte man da lieber die Finger von lassen! Doch dann konnte ich den Jackpot ergattern: Telltale Games, eine Spielefirma in Kalifornien, verkündete, dass ein neues „Monkey Island“-Spiel produziert wird. Der totale Wahnsinn, ich war ganz aus dem Häuschen! Ich habe dann losgelegt und einen neuen „Monkey Island“-Zeichentrickfilm gemacht – den fand Telltale so gut, dass ich gleich mehrere von diesen Filmen produzieren konnte. Das lief so gut, dass ich daraufhin einen Praktikumsplatz bekommen habe. 2010 war ich also ein halbes Jahr in San Francisco, danach hat mein Studium an der Filmakademie begonnen.
Erläutere doch mal, welche Inhalte dein Studium der „Interaktiven Medien“ an der Filmakademie Baden-Württemberg umfasst.
Wir befassen uns mit allen Medien, an denen der Zuschauer aktiv teilnehmen kann. Während man in jedem anderen Medium Werke konsumiert, ist man beim interaktiven Bereich jedoch aufgefordert, zu handeln. Die Diplomprojekte bei uns unterscheiden sich jedes Jahr sehr stark. Dieses Jahr haben wir ein Xbox-Spiel für die Kinect, eine Rauminstallation, einen interaktiven Comic und eine Social Media Kampagne. Man fühlt sich also sehr als Forscher, das ist wirklich spannend!
Welche Voraussetzungen sollte man als Spieledesigner mitbringen?
Um digitale Spiele zu entwickeln, muss man programmieren können – das ist leider noch eine große Hürde. Wenn du das nur ansatzweise kannst: Experimentiere viel! Das ist perfektes Learning by Doing und man findet viel über seine eigenen Vorlieben heraus. Oder suche nach „Game Jam“-Veranstaltungen. Das sind Events, bei denen man in nur 48 Stunden Spiele entwickelt. Und als letzter Tipp: Brettspiele. Man kann ganz ohne Programmierkenntnisse Brettspiele entwickeln und lernt sehr viel dabei.
Kannst du dich noch daran erinnern, wann dein erster Zeichentrickfilm entstanden ist?
Während meiner Ausbildung habe ich an meinem ersten, großen Zeichentrickfilm gearbeitet, der auf „Monkey Island“ basiert – ja, ich komme immer wieder auf dieses Spiel zurück, es hat wirklich viel Einfluss auf meinen Karriereweg gehabt! Jedenfalls war das das erste Mal, dass ich mit einem Zeichentablett an einem Computer einen Trickfilm gemacht habe – und es war ein riesiger Spaß! Als ich den Film im Internet veröffentlicht habe, hat er auch ordentlich Zuschauer gefunden.
Was hat es eigentlich mit Major Bueno auf sich?
Major Bueno sind Benedikt Hummel und ich. Wir beide haben uns auf der Filmakademie kennengelernt und gemerkt, dass wir gleich ticken. Er hat wie ich Trickfilme gemacht, aber dazu noch kleine Spiele entwickelt. Das wollte ich auch mal erforschen und so kam es, dass wir gemeinsam ein kleines Spiel gebastelt haben. Und danach noch eins und noch eins … Dann brauchten wir einen Namen und erfanden kurzerhand Major Bueno – unsere Spitznamen Majus und Bene.
Zusammen mit Benedikt Hummel hast du im vergangenen Jahr auch jeden Monat ein neues Spiel auf eurer Website veröffentlicht …
Wir wollen viele kleine Projekte neben dem Studium machen, aber das ist manchmal sehr schwer, da wir mit der Filmakademie ja schon gut beschäftigt sind. Dann tauchte aber im Dezember 2012 die Seite „One Game A Month“ auf, die dazu motivierte, jeden Monat ein kleines Spiel zu entwickeln. Das war genau der Tritt in den Hintern, den wir gebraucht hatten. Von Januar bis Dezember 2013 entstanden also zwölf sehr unterschiedliche, durchgeknallte Projekte, in denen wir immer etwas anderes probierten. In diesem Jahr lernten wir sehr viel über unsere Vorlieben, unsere Fähigkeiten und darüber, was möglich ist und was nicht. Ich kann diese Aktion jedem nur ans Herz legen. Man muss auch nicht auf Spiele spezialisiert sein, es kann sich um jedes kreative Medium handeln.
Das letzte Spiel war eine große Party, an der jeder „kreativ“ teilnehmen konnte …
Unser letztes Spiel musste natürlich gefeiert werden! Aber einfach eine Party zu organisieren, war nicht sinnvoll, denn wie hätten unsere treuen Spieler aus der ganzen Welt nach Deutschland kommen sollen? Also hatten wir die Idee, dass unser finales Spiel die Party selbst ist. Und damit auch jeder mitfeiern kann, haben wir darum gebeten, eine kleine Figur zu zeichnen, die dann im Spiel auftauchen wird. Das Ergebnis war ein Traum, denn es haben über 700 Menschen an dem Projekt teilgenommen und Figuren gemalt. Im Spiel „Party Bueno“ betritt man nun ein gigantisches Partyhaus, in dem alle Figuren tanzen. Ein interaktives Kunstprojekt!
Du hast einen immensen Output. Woher stammt die enorme Inspiration?
Es hat viel mit Selbstfindung zu tun, schätze ich. Jedes Projekt ist ein Mysterium und ich frage mich, ob ich das stemmen kann. Man beginnt ein Werk und ist gespannt, was herauskommt und wie es angenommen wird. Aber besonders die Fans und Reaktionen der Spieler sind ein großer Antrieb.
Vor wenigen Wochen warst du mit Benedikt Hummel auch beim sogenannten Spielsalon, dem zweiten Festival der Autorenspiele. Eine wichtige Plattform für euch?
Die wichtigste Plattform! Denn hier hat man als Entwickler den direkten Draht zu den Spielern. Man konnte viele Besucher auch überzeugen, dass Games tatsächlich eine Kunstform sind. Die Ausstellung erstreckte sich über zwei Gebäude und wir saßen in dem mit der Bar. Der Bar! Das hieß: abends laute Musik, Alkohol, viele Menschen … fantastisch! Genau die richtige Atmosphäre für die Entwicklung eines Party-Games. Leute schauten uns über die Schulter, wir kamen ins Gespräch und Besucher konnten dort sogar Figuren für das Spiel malen. Diese Art von alternativer Spieleentwicklung wollen wir unbedingt wiederholen. Alleine im Büro vor dem Computer etwas zu bauen, kann ganz schön eintönig werden.
Wie wichtig ist dir Feedback?
Super wichtig! Feedback ist der Grund, warum ich Spiele und Filme mache.
Man hat den Eindruck, dass der deutsche Markt für Computerspiele dem amerikanischen hinterherhinkt. Ist dem so?
Ich schätze, das liegt daran, dass der amerikanische Markt größer und lauter ist. Da geht man im direkten Vergleich schon etwas unter. Aber unsere Indie-Szene ist sehr stark.
Was machst du, wenn du deinen PC mal herunterfährst?
TV-Shows! Ich bin süchtig nach Figuren und Geschichten, und TV macht diesen Job um einiges besser als das Kino heutzutage. Trotzdem liebe ich es, ins Kino zu gehen und mit den Studienkollegen in unserer Stammkneipe zu verweilen.
Wie viele Skizzenbücher hast du mittlerweile eigentlich schon vollgekritzelt?
Oh, viele! Ich habe keine genaue Zahl, die fliegen alle irgendwo zuhause rum. Aber ich kritzle in letzter Zeit ganz schön wenig … Muss da mal wieder was machen. Danke für die Erinnerung!
Was steht in den nächsten Wochen auf dem Programm?
Viel steht an. Benedikt und ich werden im April auf der A MAZE in Berlin, dem fantastischsten Indie-Game-Festival in Deutschland, unsere Spiele ausstellen und einen Vortrag halten. Und hier und da gibt es Projekt-Anfragen aus der Indie-Branche. Nächstes Semester beginnt auch mein Diplom. Ich möchte ein Spiel „on the road“ machen. Das wird interessant und herausfordernd!
Vielen Dank für das Gespräch!