© Till Benzin
Rollstuhlbasketballer
Ein kalter Montag vor der Dreifachturnhalle des Hösbacher Hanns-Seidel-Gymnasiums, 18.45 Uhr, FRIZZ hat ein Date. Und zwar mit Wojciech Sak, genannt Jack, Shooting Guard und sportlicher Leiter des Teams ’99 sowie seiner Frau Sonja. Sie ist Schriftführerin des Vereins und ebenfalls aktive Spielerin, ihre Position ist die des Power Forwards. Jack begrüßt uns mit einem Händedruck Marke Schraubstock und einem einnehmenden Lächeln. In der Halle machen wir es uns zum Plausch gemütlich, schließlich wollen wir genau wissen, wie das so ist mit dem Rolli-Basketball.
Und im Handumdrehen wird der Schreiberling, seines Zeichens Hobbykicker, der sich schon beim Anschauen eines YouTube-Clips von Lionel Messi eine Bänderdehnung holt, eingenordet: Das Team ’99, benannt nach seinem Gründungsjahr und hervorgegangen aus der BRSG Aschaffenburg, sei kein Zusammenschluss von Freizeitsportlern mit überschaubaren sportlichen Ambitionen, sondern eine leistungsorientierte und kraftvolle Mannschaft, die in der vierthöchsten deutschen Spielklasse um Punkte kämpft und mittelfristig den Aufstieg in die Regionalliga schaffen möchte. Ginge es nach Jack, wäre es in circa zwei Jahren soweit. Um das zu bewerkstelligen, trainiert das Team jeden Montag und Donnerstag in Hösbach.
Dabei steht nicht nur das reine Spiel mit dem Ball auf dem Programm, sondern auch Taktik- und Konditionsübungen. Dass dies bei der fahrenden Variante genauso wichtig ist wie beim „Basketball der Fußgänger“, zeigt ein Blick aufs Regelwerk – dieses ist nämlich nahezu identisch. „Schrittfehler gibt es bei uns natürlich nicht“, lacht Jack. Dafür wird aber auf die Schubbewegungen der Sportler geachtet, denn der „Schubfehler“ ist bei den Rollstuhlbasketballern als abpfiffwürdiges Vergehen verankert. Der zweite Unterschied besteht darin, dass Mixed-Mannschaften zugelassen sind. Ansonsten alles wie in der NBA oder der BBL: Gleiche Spieldauer von vier Mal zehn Minuten, gleiche Anzahl der Spieler pro Team, identische Drei-Sekunden-Regel, auch die Körbe hängen in der gleichen Höhe.
Eigenständige Sportart
Und doch sollte man Rollstuhlbasketball nicht als kleinen Bruder oder beliebige Variante des Basketballs ansehen. Vielmehr lohnt es sich, es als eigenständige Sportart zu begreifen, schließlich spielt nicht umsonst auch ein nicht zu verachtender Anteil Fußgänger inzwischen die Rolli-Version. So auch im Team ’99 – Jacks Frau Sonja ist das beste Beispiel. Dennoch haben nichtgehandicapte Spieler gewisse Vorteile, beispielsweise ermöglicht ihnen die Kontrolle über ihre Beine schwungvollere und dadurch schnellere Drehungen mit dem Rollstuhl. Um den Wettbewerb grundsätzlich fair und ausgeglichen zu gestalten, werden die Spieler daher anhand ihrer körperlichen Voraussetzungen klassifiziert. Fußgänger werden grundsätzlich mit dem Faktor 4,5 eingestuft, gehandicapte Spieler je nach dem Grad ihrer Behinderung mit einem Faktor zwischen 1 und 3,5. Insgesamt darf der Wert aller sich auf dem Feld befindlichen Spieler eines Teams den Wert von 14,5 nicht übersteigen. So ist gewährleistet, dass nicht von Anfang an ein spielentscheidendes Ungleichgewicht zwischen den Gegnern herrscht.
Insgesamt setzt sich der Kader Aschaffenburger Basketballer aus zwei Dritteln behinderter Sportler und einem Drittel Nichtbehinderter zusammen, an Spieltagen und bei sonstigen Wettkämpfen hält sich das Verhältnis ungefähr die Waage. Es ist nicht schwer auszumalen, dass gerade die Auswärtsfahrten, die unter anderem bis nach Trier reichen, mit einer nicht zu verachtenden logistischen Leistung einhergehen. Denn neben den Spielern wollen auch die wertvollen, speziellen Sportstühle transportiert sein. Um diesen Aufwand zu reduzieren, treffen sich pro Spieltag drei Mannschaften und tragen demnach drei Matches aus. „Da geht’s auf dem Feld zur Sache, das ist kein Kindergeburtstag“ lacht Jack, dem man anmerkt, dass er über einen ausgeprägten Siegeswillen verfügt. „Wie jedes andere Team in jeder anderen Sportart auch fahren wir nicht los, um Punkte herzuschenken. Dementsprechend fassen wir uns da nicht mit Samthandschuhen an.“
Familiäre Atmosphäre
Trotzdem kommt der Spaß am Spiel niemals zu kurz und da die Szene nicht allzu groß ist, kennt man sich. So schwingt an Spieltagen auch immer ein bisschen das Flair eines Familientreffens mit, denn zwischen und nach den Matches muss auch noch der neueste Klönschnack ausgetauscht werden. Was dem Team ’99 bei seinen Heimspielen noch fehlt, ist ein größerer Rückhalt von Zuschauerseite: „Da verläuft sich eine Handvoll Zuschauer in der Halle“, berichtet Sonja. Es müsse ja nicht gleich so sein wie beim Tabellenführer der 1. Bundesliga und Champions-League-Teilnehmer RSV Lahn-Dill, bei dem sich die Heimspiele in Sachen Zuschauerzahlen und Atmosphäre nicht vor Spielen der Handballbundesliga verstecken müssen.
Wenn Jack von diesem und den anderen Vereinen der höchsten Spielklasse erzählt, flackert es in seinen Augen. Der gebürtige Pole ist in Oberfranken aufgewachsen, hat viele Jahre in Bamberg und Bayreuth verbracht und in dieser Zeit auch in der 1. Bundesliga gespielt. Wehmut nach der alten Zeit? Nein, ganz und gar nicht. Aber die Faszination ist ungebrochen. Die Faszination für die Sportart an sich und die Möglichkeiten, die in ihr stecken. Schließlich gibt es auch in Deutschland bereits Rollstuhlbasketball-Profis, die ihren Lebensunterhalt mit dem Sport verdienen – auch wenn man hier von Ländern wie der Türkei oder Italien nach wie vor meilenweit entfernt ist, wo Rollibasketball einen weitaus prominenteren Stellenwert genießt und die entsprechenden Förderungen und infrastrukturellen Möglichkeiten um einiges besser sind. Für das Aschaffenburger Team ’99 bedeuten Trainings- und Spielbetrieb sowie Ausrüstung und Sportrollstühle (brauchbare Modelle fangen bei über 4.000 Euro an) einen enormen finanziellen Aufwand, der ohne zusätzliche Spenden und das Engagement von Sponsoren nicht zu stemmen wäre.