Im Jahr 1821 tötete der von den Napoelonischen Kriegen gebeutelte Leipziger Johann Christian Woyzeck seine Geliebte. Johanna Christiane Woost war Witwe eines Chirurgen. Von Eifersucht, psychischer Krankheit, Wahn und Trinksucht getrieben, beging er eine Straftat, die ihn juristisch das Leben kosten sollte. Der historische Woyzeck ging im gesamten deutschsprachigen Raum durch die Medien, wurde von Büchner als Protagonist aufgegriffen und im Vergleich literarisch sehr frei verarbeitet. Das Schauspiel Leipzig führt nun eine innovativinszenierte Interpretation in Aschaffenburg auf:
Franz Woyzeck wird von Christoph Müller verkörpert, während Bettina Schmidt als Marie – die uneheliche Mutter von Woyzecks Kind – zu sehen ist. Gemeinsam setzen sie die zwischenmenschliche Beziehung als Dreh- und Angelpunkt des Dramas authentisch in Szene. Die Titelfigur muss im Laufe der Geschichte eine Reihe von Herabwürdigungen erfahren. Zum einen wird er aufgrund psychischer und physischer Labilität von seinen Vorgesetzten dem Feldwebel und dem Tambourmajor de facto gemobbt. Zweiter umgarnt sogar Marie, die ohne Ehegelübde als Partnerin und Mutter einen noch niedrigeren sozialen Stand erfahren muss, als die finanzielle Situation des Geliebtenpaares ohnehin determiniert. Damit Woyzeck ihr ein besseres Leben bieten kann und um gleichzeitig die herausfordernde Konkurrenz des Tambourmajors zu kontern, bietet er dem Arzt gegen Bezahlung seinen Körper für Versuche und Studien an. Durch die verordnete strenge Erbsendiät wird Woyzeck weiter geistig sowie körperlich geschwächt und verfällt mehr und mehr dem Wahnsinn, der ebenfalls durch das demütigende Verhalten seines Umfelds ihm gegenüber verstärkt wird.
Das Stadttheater Aschaffenburg präsentiert unter dem Motto „Wissenschaft und Verantwortung“ in der aktuellen Spielzeit eine Reihe von intermedialen Veranstaltungen, die sich mit den ethischen und moralischen Aspekten wissenschaftlichen Fortschritts auseinandersetzen. Darunter zählt auch Georg Büchners fragmentarisches Drama „Woyzeck“, das die Geschichte des gleichnamigen Soldaten Franz Woyzeck erzählt, der unter dem Druck sozialer Ungerechtigkeit und persönlicher Demütigungen zerbricht. Büchner beleuchtet in seinem vielseitiginterpretierbaren Werk die Auswirkungen wissenschaftlicher Experimente am lebenden Menschen und stellt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber dem Individuum.
Büchners Szenenaneinanderreihung gliedert sich mit der Thematisierung des menschlichen Körpers als Versuchskaninchen von fragwürdigüberambitionierten Medizinern in das aktuelle Spielzeitthema ein. Sollte die Wissenschaft Menschen aufgrund ihres Unwissens nicht viel mehr schützen als sie stattdessen deswegen für egoistische Zwecke ausnutzen? Der selbst in jungen Jahren verstorbene Georg Büchner öffnet mit Woyzeck eine thematische Diskussion auf Literaturebene die Zeit seines Lebens zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Beginn der wissenschaftlichen Medizinforschung eine wichtige gesellschaftliche Rolle einnimmt.