© Till Benzin
Gnadendomizil
Es ist ein ebenso sonniger wie bitterkalter Morgen, als die FRIZZen am Sonnenberg im Elsenfelder Ortsteil Eichelsbach vorfahren, um sich eine bemerkenswerte Einrichtung einmal näher anzuschauen: Das Gnadendomizil Sonnenberg e. V. Wir werden bereits erwartet und neben einem strahlenden Lächeln mit folgendem Satz in Empfang genommen: „Könnte sein, dass ihr die falschen Klamotten anhabt!“ Als Margarete Hagauer-Weimer, die Betreiberin, die mannshohen Fragezeichen über unseren Köpfen erkennt, schiebt sie dann doch lieber gleich die Erklärung hinterher: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass der ein oder andere Hund auch mal hochspringt!“ Aber hey, das ist kein Problem – unsere Kleidung hat schon jede Prüfung unserer drei Redaktionshunde überstanden und hält einem Vierbeiner, der versucht, seinem Gegenüber tief in die Augen zu schauen, durchaus stand.
Als die Eingangstür zu dem großen Haus geöffnet wird, sind wir auch schon mittendrin: Uns begrüßt eine Gruppe von Hunden, die sichtlich erfreut über unseren Besuch ist. Um es genau zu sagen, werden wir geradezu überrannt von den quietschfidelen Tieren, die sich überschwänglich ihre Knuddel- und Streicheleinheiten abholen. Vor lauter Fellgewimmel und Getobe fällt einem auf den ersten Blick überhaupt nicht auf, um was für spezielle WG-Bewohner es sich hier handelt. „Das ist unsere erste von drei Gruppen im Haus, nämlich die Hunde mit Behinderung“, klärt uns Margarete Hagauer-Weimer auf und gibt einen ersten Einblick in die Struktur des Domizils, in dem drei Arten unterschieden werden: alte, gehandicapte und verhaltensauffällige Hunde. Diese drei Kategorien sind am Sonnenberg mit seinen aktuell insgesamt 23 betreuten Tieren vertreten.
Als sich die erste Euphorie ein wenig gelegt hat, dürfen wir uns das Haus anschauen, beginnend im großzügigen Schlaf- und Aufenthaltsbereich der Hunde mit Behinderung. Und während Terriermischling Drops, der vor gar nicht allzu langer Zeit von irgendwelchen Menschen (kann man die noch so nennen?) an einem Baum aufgehängt wurde und dadurch bleibende Schäden davongetragen hat, mit beeindruckender Ausdauer ein Kuschelkörbchen von den Ausmaßen eines Kinderbettes quer durch den ganzen Raum zieht, erzählt uns Margarete Hagauer-Weimer aus ihrem Alltag: Seit über zwölf Jahren bietet sie den Hunden bereits ein Gnadendomizil, vor drei Jahren ist daraus ein eingetragener Verein entstanden.
Die Liebe zu den Tieren bestimmte schon davor ihr gesamtes Leben. Schon immer war sie in diversen Tierschutzorganisationen aktiv und hat viele davon als Gründungsmitglied ins Leben gerufen. Doch dort ging es vornehmlich um die Vermittlung von Tieren. Die Frage nach dem Verbleib der unvermittelbaren Hunde war schließlich der Ursprung ihres Gnadenhauses, das sie mit der Unterstützung ihres Mannes und einiger ehrenamtlicher Helfer aus dem Freundeskreis betreibt.
Plötzlich da: die Sinnfrage
Doch warum entscheidet sich jemand aktiv für ein Leben ohne Urlaub und Feiertage? „Früher war ich im Management in der Bekleidungsindustrie tätig, habe gut verdient und war ständig unterwegs, auch viel im Ausland“, erzählt Margarete. Doch nach einem Herzinfarkt in viel zu jungen Jahren war sie plötzlich da, die Sinnfrage. Seitdem steckt sie all ihre Energie in den Sonnenberg und verwandelt den Stress in etwas Positives. Und davon hat sie mehr als genug, beginnt ihr Tag doch morgens um sechs und endet nachts um eins. Sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr. „Ein Theaterbesuch ist tatsächlich nur sehr selten drin“, lacht Margarete und führt ihre Besucher ins nächste Zimmer.
Wir betreten die Seniorenresidenz. Hier geht es zwar nicht ganz so wild zu wie im Nebenraum, doch auch hier gilt: Jede freie Hand sollte gefälligst zum Kraulen und Streicheln eingesetzt werden. Und wie eine „freie Hand“ definiert wird, liegt dabei ganz allein im Ermessen der Hunde. Auch zum Leidwesen von Fotograf Till, der es sehr schwer hat, ein paar Bilder in den Kasten zu bekommen, denn ständig drängelt sich ein Stück weiches Fell direkt vor – oder direkt auf – die Linse. Nur einer der Alterspräsidentschaft legt keinen gesteigerten Wert auf Kuscheln: Jack. Der kleine Jack-Russell-Terrier steht zwar immer mittendrin und schaut sich alles an – sollte man aber versuchen, ihn anzufassen, dreht er sich einfach um und geht. „Als einer von drei Hunden in unserem Haus hat er mit Menschen nicht wirklich einen Vertrag“, wie es Margarete ausdrückt.
Jack kommt von einer Zuchtfarm in Frankreich, wo er als Deckrüde kein wirklich schönes Leben hatte. „Von diesen Zuchtfarmen, die ohne Rücksicht auf die Tiere nur Masse produzieren, bekommen wir verhältnismäßig viele Tiere, die bei uns wenigstens noch ein paar schöne Jahre haben dürfen.“ Exemplarisch für diese Zuchtfabriken wird sie uns später noch ein Bild zeigen. Darauf zu sehen ist eine Labradorhündin, die auf dem Foto eigentlich ganz normal aussieht. „Sie kam auch von so einer Farm. Sie hatte insgesamt knapp 200 Welpen zur Welt gebracht, wurde schlimm behandelt und war in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatte noch nicht mal mehr Fell, wir wussten also anfangs nicht, welche Farbe sie eigentlich hat.“ Auf dem Sonnenberg kam sie wieder zu Kräften und verbrachte bis zu ihrem Tod dort wahrscheinlich die fünf besten Jahre ihres Lebens. Margaretes „Klienten“ werden durch verschiedene Tierschutzvereine und dem dementsprechenden Netzwerk an sie und ihr Team herangetragen.
Dringend gesucht: helfende Hände
Apropos Team, jede helfende Hand ist gerne gesehen. „Wir sind immer auf der Suche nach ehrenamtlichen Unterstützern – sei es im Haus und bei den täglichen Aufgaben oder als Gassigeher. Wir sind für jegliche Unterstützung dankbar!“ Doch nicht nur Manpower ist in Eichelsbach gefragt, denn der Verein finanziert sich ausschließlich durch Spenden. „Für den laufenden Betrieb benötigen wir alleine einen mittleren fünfstelligen Betrag im Jahr – jeder Cent geht dabei direkt in das Wohl der Tiere.“ Tiere, gutes Stichwort. Die letzte Gruppe, die der sogenannten Angsthunde, wartet auf unseren Besuch. Wir gehen ums Haus herum und kommen zu einem Freilauf, der einen Großteil des 2.000 Quadratmeter großen Geländes ausmacht. Doch bei der energiegeladenen Gruppe, die hier im Moment unterwegs ist, ist von Angst oder gar Aggressivität rein gar nichts zu spüren, vielmehr auch hier: Kuscheln, Knuddeln, Kraulen. „Jeder dieser Hunde hat so seine Eigenheiten, die eine Vermittlung ausschließen. Und gerade deswegen benötigen sie unsere volle Aufmerksamkeit“, klärt Margarete abschließend auf. In den FRIZZen macht sich nach der Führung vor allem Folgendes breit: Bewunderung und Dankbarkeit – für die Leidenschaft, den Mut und den Einsatz von Margarete, ihrer Familie und ihrem Team. Wir wollen helfen, helft ihr mit?