© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag: #42 Musik ist Trumpf
Kürzlich wurde mir mal wieder blitzsauber klar: Das mit der musikalischen Früherziehung ist ein ganz schön dickes Brett. Da mühe ich mich ab. Mit beiden Kindern, auch wenn Bruno gegenwärtig eh erst die Hälfte peilt. Wir hören Pascow, die New Bomb Turks, Chokebore, Gisbert zu Knyphausen, die ganze Bandbreite an vernünftigem Kram eben. Aus verschiedenen Zeiten, deutsch und englisch. Alles was mir lieb und teuer ist und was mich als Soundtrack durchs Leben hievte. Wir hören es obendrein in unterschiedlichen Lautstärken, dazu bringe ich erste Band-Patches als Geschenke von Konzerten mit. Ich habe meine Tochter schon so weit, dass sie im Auto sitzt und sagt: „Papa, können wir endlich wieder Krachmusik hören. Aber bitte richtig laut“, da kommt plötzlich die Lieblingserzieherin mit „Despacito“ um die Ecke und alles ist dahin. „Despacito, pacito, pacito …“ und dann noch eine ganze Palette Fantasiespanisch hinterher, so quäkt sie durchs Haus und bitte, kein böses Wort darf ab sofort mehr über diesen Song fallen.
Meine Tochter lernt Dinge sehr schnell, sie ist witzig und klug, sportlich und mutig, aber sie singt wie eine Katze, der einer den Schwanz abschneidet. Also weiter „Despacito, pacito, pacito, pacito …“. Schöner wird’s heute nicht mehr. Aber während ich so hadere, fiel mir auch wieder ein: Es war bei uns in der Kindheit ja auch keinen Deut besser. Eher noch schlimmer. Ich hockte bei der Oma am Wohnzimmertisch, glotzte die Hitparade und dachte Andrea Jürgens und ihr „Ein Herz für Kinder“ sei eine echte Hitrakete und Dieter Thomas Heck wäre der Musikmaster des Landes. Also wird am Ende schon alles gutgehen. Aber verflixt und zugenäht, es ist schon dünnes Eis. Und manchmal schieße ich auch kleine Böcke, die ich nur schwerlich rückgängig machen kann. Bei allem Punkrock habe ich nämlich ganz still und leise eine ganz leichte Schwäche für perfekten Schlager. Wahrscheinlich ein Ergebnis meiner frühen Heck-Jahre. So hörte ich im Radio die neue Single von Roland Kaiser – die wirklich schon fast abgrundtief perfekt ist – drehte den Regler hoch und plötzlich war Hanni, die im Heck saß, Feuer und Flamme.
Sie war aber kein Fan von Roland Kaiser, sondern sie wollte ab sofort immer nur noch „Holland Kaiser“ hören. Irgendwas geriet da falsch ins Ohr. Mehrere Tage am Stück drangsalierte sie mich, dass ich endlich „Holland Kaiser“ und das Lied „Wir geh’n durch die Zeit“ auf Youtube suche. Dann schmachtete sie das Video an, kannte den Text mittlerweile auswendig und fand, dass der Holland Kaiser wirklich gut singt. Er singt auch wirklich gut. Und wahrscheinlich auch besser als Nagel von Muff Potter oder Page Hamilton von Helmet. Sage ich jetzt einfach mal so. Denn darauf kommt es bei Musik tatsächlich nicht immer an. Ich weiß dagegen bis heute nicht, ob sie glaubt, Holland sei ein existierender Vorname. Oder ob in ihrer Welt der Kaiser von Holland dieses Lied singt. Ich lasse sie einfach in dem Glauben, dass dieser Mann sich Holland Kaiser nennt oder am Ende sogar heißt. Es ist schlichtweg zu gut, um es aufzulösen.
„Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“ Das sagte einst der leider viel zu früh verstorbene Frank Giering in dem wunderbaren Film „Absolute Giganten“. Mir ist völlig bewusst, dass ich keines meiner beiden Kinder zur Musik und schon gar nicht zum Independent, Punkrock oder sonst was zwingen kann. Je mehr du machst, desto mehr kann das auch in die Hose gehen. Schwuppdiwupp, was will der alte Knabe denn mit diesem Hillybilly-Kram, ich höre aus Protest jetzt erst einmal Justin Bieber oder irgendeinen Teeniestar, der 2022 alle zum Kreischen bringt. Amigos der Unterhaltung, das soll mir alles recht sein. Ich stieg mit Michael Jackson ein, fand dank meiner Mutter Hotel California gut und dachte mit Accept könnte ich meinem Vater am ehesten demonstrieren, wie anders ich bin. Jeder Weg ist recht, nur eine Sache brennt mir im Herzen: Musik ist Trumpf! Kinder, bitte hört viel Musik, denn Musik ist doch fast das Wichtigste. Musik bringt so viele Dinge zueinander, sodass das Leben in manchen Augenblicken wirklich leichter, sogar verstehbarer und aushaltbarer wird.
Musik ist da, wenn es prächtig läuft und begleitet dich, wenn die Kacke dampft. Deshalb: Ich komme am Ende auch mit RnB klar, mit Elektro auf jeden Fall und notfalls auch mit „Holland Kaiser“, aber bitte hört einfach Musik, Kinder! Und das nicht nur im Radio. Sondern die Musik, die euch berührt und Bäume ausreißen lässt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich mich doch außerordentlich freuen, wenn Hanni mit 16 explizit mich fragt, ob ich mit ihr zu einem Gitarrenkonzert gehe. Ohne sich zu schämen, ich könnte ihr Großvater sein. Und wenn sie oder Bruno eines Tages stolz mein Kvelertak-Shirt tragen und mir Bands ihrer Wahl vorspielen. Es ist ein ganz stiller Wunsch. Vorher suche ich auf Youtube auch gerne nochmal Holland Kaiser oder singe mit ihr sogar „Baby, gib mir mehr von dem was Du Liebe nennst.“
Bruno und ich hören im Auto: Refused „The Shape of Punk to Come“ (Burning Heart Records) und dabei findet Bruno in den Mittagsschlaf. Ernsthaft.
Hanni und ich hören auch im Auto: Roland Kaisers Single „Wir geh’n durch die Zeit“ (Sony/RCA)