© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#36 Zahnfee_Quetschies
Endlich kam die Zahnfee. Wurde auch Zeit. Allerdings war mir – bevor ich Kinder bekam – die Zahnfee leider kein Begriff. Sie war mir völlig unbekannt. Ähnlich wie die Schnullerfee. Aber jetzt war sie nachts da. Also die Zahnfee. Und just nachdem meine Tochter ihren ersten Milchzahn verlor. Die Zahnfee hat den Dreh einfach raus und passt immer den richtigen Moment ab. Verrücktes Huhn. Sie prüfte den ersten Zahnausfall und brachte dafür im Gegenzug ein Uno-Kartenspiel. Meine Tochter rief uns noch mitten in der Nacht, als sie das Geschenk entdeckte. Was für eine Aufregung an einem ganz normalen Wochentag und gegen drei Uhr. So, jetzt alle wieder: Gute Nacht! Bitte Weiterschlafen. Sofort. Sonst raste ich aus.
In meinen frühen Jahren trugen mich drei Eckpfeiler durch meine wacklige Kindheit: Osterhase, Nikolaus und Christkind. Peng. Das wars. Wahlweise kam noch der sogenannte „Wullewatz“ ins Spiel. Nämlich dann wenn ich besonders frech war. Der Wullewatz lebte irgendwo im Wald und würde mich holen. Wenn ich nur weiter so machen würde. Holen war überhaupt das Stichwort unseres Aufwachsens. Wir wurden gerne von irgendwem „geholt“ und genauso gerne auch irgendwo „hingebracht“. Denn ab und an hörte meine Mutter auch noch von weitem bereits „das grüne Wägelchen“ kommen. Das war dann der Fall, wenn ich wegen einer Nichtigkeit durchdrehte. Das grüne Wägelchen war laut meiner Mutter der Transportwagen der nächstgelegenen Nervenheilanstalt. Der dann allerdings nie kam. Glücklicherweise bis heute nicht. Aber ein ganz klein wenig Sorgen machte ich mir als Kind dennoch. Ich nehme in jedem Fall deutlichen Abstand, das grüne Wägelchen zu rufen oder es anzukündigen. Weil es a) eben ins Irrenhaus – damals nach Lohr – fuhr und das ist mir als Drohung tatsächlich eine Nummer zu groß und b) meine Tochter überhaupt nicht abschrecken würde, weiter durchzudrehen. Ich müsste höchstens das Irrenhaus im Stil des Films „Sucker Punch“ und mit drohender Lobotomie beschreiben. Wie gesagt: Mir zumindest ist das zu sehr schwarze Pädagogik. Da ist Hölle und Fegefeuer eine fast noch sanftere Perspektive.
Jetzt ist die Welt meiner Kinder bevölkert von neuen Figuren. Zahnfee, Schnullerfee. Dazu kommen Ereignisse, mit immer größer werdender Bedeutung wie Halloween. Gebt Halloween noch fünf Jahre, dann ist es für die kommenden Generationen genauso wichtig wie Fasching. Sag ich mal so in den Raum. Ich rege mich im Gegensatz zu manch anderem hier gar nicht auf. Das ist der Gang der Zeit. Globalisierung, Vernetzung, Digitalisierung. Das alles macht uns das Erziehen nicht leichter. Aber lieber Himmel, manchmal poche ich gerne auf Tradition, doch so lang der Kürbis nicht das Christkind ablöst, soll mir das in diesem Fall recht sein. Wir haben ernstere Probleme. Dafür bekomme ich im Gegenzug doch auch regelmäßig neue Begrifflichkeiten geschenkt. Leider mit zweifelhaftem Wert. Snoezelraum ist so einer. Snoezelräume existieren in Krabbelstuben und Kindergärten und snoezeln ist wohl dort eine durchaus beliebte Tätigkeit. Landauf und landab. Ich habe nur leider noch nie gesnoezelt. Vielleicht regelmäßig gepflegt abgehangen und entspannt. Denn das ist – glaube ich zumindest nach Schnellrecherche – genau dasselbe. Aber snoezeln? Fehlanzeige.
Mir wären auch Erwachsene suspekt, die sagen würden „Ach, weißt du was, heute Mittag snoezeln wir mal wieder richtig.“ Vorausgesetzt sie meinen das Gleiche wie ich und kommen nicht aus Holland. Weder werde ich also snoezeln, noch möchte ich mich als Vater im Drogerie-Markt der Wahl den Satz fragen hören: „Möchtest du deinen Quetschie jetzt gleich, Nick (bei mir dann Bruno)?“. Denn auch das ist eine Besonderheit 2017: Der Markt an schwachsinnigen Kinderprodukten ist randvoll und stündlich kommen neue dazu. Jetzt gibt es Quetschies und vor allem Eltern obendrauf, die dieses Wort – ohne Not und ohne sich zu schämen – in ihren alltäglichen Sprachgebrauch übernommen haben. Das ist mir fremd wie eine Flasche Prosecco zum Abendbrot.
Apropos Abendbrot und Prosecco. Vor einiger Zeit meinte meine Tochter beim Abendessen und direkt nachdem ich mir ein Bier aufmachte: „Papa, ich habe eine gute Idee für dich. Warum triffst du dich nicht mal mit deinen Freunden und ihr trinkt so viel Bier wie ihr wollt und bis ihr nicht mehr könnt?“ Ich habe mich für diesen Vorschlag ordentlich bedankt und sie gelobt, ihr aber nicht verraten, dass das durchaus bereits Programmpunkt bei uns Vätern ist. Ab und an. Ach, Herrjeh, das hätte selbst die Zahnfee nicht besser sagen können. So einen schönen Satz habe ich in über zehn Jahren Ehe noch nie von meiner Frau gehört.
Bruno und ich hören: Thees Uhlmann „Thees Uhlmann“ (Grand Hotel Van Cleef)