© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#31 Leidenschaften
Vor einer Woche bekamen wir Heizöl geliefert. Für Bruno war es, als hielte der größte Zirkus der Welt Einzug in unserer schmalen Gasse. Mit Elefanten, Dromedaren und wilden Tigern. Es war in unserem Fall allerdings nur der Tanklaster der Firma Roth aus Frankfurt-Fechenheim. Bruno hyperventilierte aber fast, als der Transporter blinkend vor unserem Zaun parkte. Und die Aufregung vor so einem großen Ereignis begleitete ihn schon einige Tage. Am Samstag davor wachte er einigermaßen übellaunig auf, mein Hinweis, dass übermorgen der Heizöl-Laster käme – mit soooo großem Tank und sooo langen Schläuchen – lies bereits schlagartig die Stimmung in ungeahnte Höhen schießen. Ich bin immer wieder überrascht: Mein Sohn hat so manche Ähnlichkeit mit mir, zum Teil aber völlig andere Leidenschaften als ich.
Seit ich denken kann, sind mir Bagger, LKWs, Kräne und Feuerwehr völlig egal. Egaler geht es wahrscheinlich kaum. Ich kann mich nur noch erinnern, da fuhren einstmals die US-Soldaten mit ihren Panzern durch die Aschaffenburger Straße in Goldbach, mit viel Trara und Tamm-Tamm und ein Amerikaner winkte mir sogar fröhlich aus seiner offenen Panzer-Luke zu. Das waren noch Zeiten, da war auch ich hin und weg. Sonst denkt mir nichts und lediglich zu Panzern hatte ich kurzzeitig eine gewisse Affinität. Leopard 1 und Jaguar. Ich weiß partout nicht, was mich damals geritten hat und nur fürs Protokoll: Ich hatte nie eine Liebe für Waffen. Maximal für den Henrystutzen und die Silberbüchse. Würden heute noch Panzer durch Frankfurter Straßen rollen, ich befürchte, Bruno bräuchte zusätzlich künstlichen Sauerstoff. Bei mir brauchte es schon Panzer, um überhaupt den Puls zu heben und davon schon etliche.
Bei Bruno befürchte ich, es dauert nicht mehr lange und ich muss mit ihm auf eine Monster-Truck-Parade gehen. Oder auf eine Stock-Car-Show. Am Ende will er eines Tages noch auf die IAA. Die ging nämlich an besagtem Wochenende ebenfalls zu Ende und mir dämmerte als ich den Nachbarn mit dem Sohnemann dahin stiefeln sah, dass ich da nicht mehr ewig drum rum komme. Bruno wird sich schon irgendwelche absurden Sportwagen anschauen wollen. Oder sich zu Weihnachten einen Besuch bei einem Formel1-Rennen wünschen. Ach, ach. Fürchterlich. Bruno dreht ja jetzt schon durch, wenn nur die Müllabfuhr mit lautem Tut-Tut rückwärts vor unseren Tonnen einbiegt. Dazu winkt er den Mitarbeitern der örtlichen Entsorgungsbetriebe ausgelassen. Jedes Mal aufs Neue ist das ein Spektakel!
Brunos zweite Leidenschaft sind Bäcker! Das kann ich eher teilen. Wenngleich ich hier niemals so steil ging, wie Bruno beim Premieren-Einlauf in den lokalen Bäckerladen. Ein klarer Fall von Durchdrehen vom Feinsten. Als wäre unsereins versehentlich in der Playboy-Mansion gelandet. Und plötzlich würden uns alle Bunnys vor Ort hochleben lassen und wollten mit uns Macarena tanzen. Selten war ein Junge so am richtigen Ort wie Bruno an diesem Morgen. Laugengebäck, Brötchen in geschätzt hundert Varianten, Hörnchen und natürlich Brote, wohin das Auge reicht. Ich befürchtete damals, er wirft sich in seinem Rausch aus dem Kinderwagen direkt in die Auslage. Das alles ist jedoch nichts im Vergleich zu einem Kran oder Schwerlaster in Sichtweite. Manchmal reicht es ihm bereits, wenn ich meinen 50er Roller direkt vor ihm antrete. Ich habe das feste Gefühl, in diesem Moment bin ich für ihn der tollkühnste Hund der Stadt. Wer sonst würde so eine Höllenmaschine reiten. Dazu trage ich noch einen Helm. The Return of Evel Knievel in Praunheim. Kommen, sehen, staunen!
Mir ist bewusst: Bruno steht mit diesen Leidenschaften bei weitem nicht allein auf weiter Flur. Bei den meisten Vätern entdecke ich aber zumindest annähernd Tendenzen. Da mal eine Affinität zu Sebastian Vettel oder Michael Schuhmacher, hier mal ein Ausflug zur Baumaschinenausstellung. Zu keinem Zeitpunkt hat ihn jedoch jemand in unserem Dunstkreis intensiv und bewusst an das Genre Männer, Motoren, starke Maschinen herangeführt. Ich glaube, noch nicht mal mein Schwiegervater. Wir fahren einen alten Skoda, einen alten T3 und außer besagtem Roller wüsste ich nicht, was annähernd diese Taste bei ihm gedrückt haben könnte. Wirklich nicht. Vielleicht ist es am Ende das Gegenteil. Und es ist Protest von seiner Seite.
Bruno ist jetzt anderthalb Jahre. Und wenn ihm etwas zu viel wird, teilt er erst einmal aus. Peng! Schon hat Hanni eine sitzen. Dann blinzelt er, lacht mit seinen dicken Backen und keiner ist ihm lange böse. Seit Kurzem verteilt er auch noch Küsse hinterher. Das musst du auch erst einmal bringen. Ich habe das Gefühl, er ist in manchen Augenblicken schon jetzt mehr Chauvi als ich es in meinen 44 Jahren jemals war. Wahrscheinlich will er mit 19 Jahren auch noch Betriebswirtschaft studieren und eine Heizölfirma übernehmen. Oder er heuert gleich auf einer Plattform an. Schnell, schnell. Jetzt muss ich viel Musik mit ihm hören. Das komplette Programm Punkrock und deutsche Liedermacher. Junge, Junge, manchmal ist Vatersein keine leichte Aufgabe. Jetzt ist noch Hugh Hefner tot! Bruno trägt schon Trauerflor.
Bruno und ich hören: Fugazi „13 Songs“ (Dischord Records)