© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#26 Freie Zeit
Bereits vor geraumer Zeit schrieb mir ein enger Freund eine Nachricht mit etwa folgendem Inhalt: „Weißt Du was richtig gut ist? Einfach mal wieder in Ruhe auf dem Klo sitzen zu können.“ Er schrieb es noch etwas deutlicher und direkter, das erspare ich aber allen hier. Es ändert nämlich nichts an der unverrückbaren Tatsache: Er hat vollkommen recht! Er war für eine gewisse Zeitspanne ohne Frau und vor allem ohne Kind allein zu Hause. Und genoss jede Sekunde. Er hat bislang nur ein Kind. Das zweite kommt erst noch. Ich kann ihm an der Stelle leider nur eines versprechen: Besser wird es in der Regel nicht und mehr Zeit wird er auch nicht bekommen. Die letzte Ausfahrt ist manchmal nur die Toilette! Last Exit Gästeklo, der letzte Rückzugsort. Da geht es den Müttern wie den Vätern. Die meisten Väter beklagen den Verlust nur häufig noch kläglicher und vehementer.
Das kostbarste Gut für alle Eltern mit kleinen Kindern ist freie Zeit. Es ist in machen Phasen des Aufwachsens so rar wie eine halbwegs finanzierbare Immobilie in einer deutschen Großstadt. Meine Frau und ich sind mittlerweile so weit, dass wir auf alle materiellen Geschenke von familiärerer Seite verzichten wollen. Wir wollen, dass wir nur eine Sache geschenkt bekommen: Freie Zeit! Freie Zeit ist die neue Währung, die für uns zählt. Es ist das Kokain der Eltern. Ruft jemand freie Zeit, dann läuft uns allen das Wasser im Mund zusammen und jeder dreht kurzzeitig fast durch. Hätten wir nur früher gewusst, wie wertvoll freie Zeit ist. Alleine mit einem Kind! Denn mit einem Kind kommst du noch häufiger in den Genuss. Mit zweien ist es manchmal völlig aussichtslos. Da hissen sogar motivierte Schwiegereltern in der Regel die weiße Fahne oder gehen nach einer Nacht in die Knie.
Es gibt Paare mit mehreren Kindern, die behaupten, die Abnahme von nur einem Kind bringe überhaupt nichts. Das teilen wir nicht. Im Gegenteil. Selbst ein Rabauke weniger im Haus bedeutet an zwei, drei Stellen am Tag einen ganzen Hauch mehr Freiraum. Mit entsprechendem Altersabstand sind nämlich die Bedürfnisse ganz unterschiedlich, da entstehen neue Lücken. Das Problem ist: Das weißt du erst, wenn du mindestens zwei Kinder hast. Wir waren vorletzte Woche zwei Nächte ohne Bruno, dazu waren wir beide zuhause und Hanni im Kindergarten. In solchen Momenten kommen Eltern auf die verrücktesten Ideen. Wir hätten den ganzen Tag knutschen oder sinnlose Serien schauen können. Aber wir waren so voller Endorphine und im Rausch, dass wir den Keller, die Waschküche und die Garage sortiert und aufgeräumt haben. Dazu machten wir Sperrmüll, lieferten Kleiderspenden bei der Caritas ab, brachten eine Großaktion Ebay-Kleinanzeigen auf den Weg, putzten selbstverständlich die komplette Hütte, mähten den Rasen und feuerten die komplette Bügelwäsche durch. Wahnsinn! Dafür haben wir früher zehn Tage angesetzt. Und jetzt kommt der erstaunliche Knüller: Das alles fanden wir richtig gut! Dann sind wir mit Hanni Burger essen gegangen, haben hinterher sogar noch zu zweit Serien geschaut und geknutscht. Geht doch.
Freie Zeit, freie Zeit. Ach, das klingt so schön. Ich lass es mir auf den Oberschenkel tätowieren. Es klingt so schön wie die Sofortrente der Süddeutschen Klassenlotterie, wie ein Urlaub auf Korsika, wie Freikarten für ein Konzert der Thermals oder einfach mal wie in Ruhe auf dem Klo sitzen zu können. Freie Zeit! Ich muss aufhören. Sonst verliere ich noch vollends die Fassung!
Bruno und ich hören: Bon Iver „Bon Iver“ (4AD)