© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#24 Kraft
Heute Abend war ich mit Bruno im lokalen Supermarkt einkaufen. Center heißt das ja mittlerweile. Ich mache das mit Bruno im Grunde sehr gerne. Erst nölt er kurz rum. Dann sitzt er stolz wie ein Spanier im Einkaufswagen, bekommt eine Laugenstange und vom tätigen Wurstverkäufer eine Scheibe Gelbwurst. Schwuppdiwupp, schon scheint die Sonne aus dem Arsch. Bruno hat zwei große Leidenschaften „Essen“ und „Bagger“. Dazu an anderer Stelle aber mehr. So war es aber auch diesmal. Wir fuhren so durch die Regale, Gelbwurst und Laugenstange am Start, als plötzlich ein Junge unseren Weg kreuzte. Er war etwa in Brunos Alter und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Mein Papa ist stärker als Deiner“. Einen Fuchsschwänzchen-Schlag später entdeckte ich den Vater im Schlepptau dahinter.
Ich bin mir bewusst, wenn ich alle Männer, die sich just in diesem Markt befanden zum Armdrücken, wahlweise Fingerhakeln herausfordern würde – bei grob geschätzt nur der Hälfte von ihnen hätte ich reale Siegchancen. Beim Rest würde ich keine horrenden Summen auf mich setzen. Das ist eine situative und intuitive Annahme. Ich will mein Licht nicht unter den Scheffel stellen, aber in Sachen Kraftsport bin ich sicherlich nicht in der Führungsspitze zu finden. Aber eines weiß ich sicher: Bei diesem Vater würde ich mir, ohne hochmütig zu werden, problemlos einen Überwurf zutrauen. Und das heißt einiges. Also was zur Hölle reitet nur ein Elternteil, dem Sohnemann gerade dieses Shirt anzuziehen? Vor allem, wenn der Vater augenscheinlich sein Geld nicht mit körperlicher Arbeit verdient. Er mag ein schlauer Dachs sein, aber darum ging es ja gerade nicht.
Das Schöne an Kindern in diesem Alter ist: Es ist so vieles an Kleidung möglich. Ein cooler Junge kann wegen mir sogar ein Anna & Elsa-Hemd tragen, bis zur Grundschule wird er damit sogar in Frankfurt nicht gebashed. In der Kindergarten-Gruppe meiner Tochter ist ein Junge, der kommt mit einem Prinzessin-Lillifee-Fahrrad um die Ecke gebrettert. Bekommt er Sprüche gedrückt? Denkste, Kamerad Rauhbein. Er wird von niemandem gehänselt. Dazu trägt er noch eine dicke Brille. Auch das findet niemand doof. Die Mädchen mögen ihn sogar besonders gerne. Weil er nämlich ein feiner Charakter ist. Dazu hat er den härtesten Schuss, den ich seit langem bei Jungs in diesem Alter gesehen habe. Seitdem ich das entdeckte, rufe ich ihn nur noch mit größtem Respekt „Dr. Hammer“. Eine größere Ehre, als den Vergleich mit Bernd Nickel kann es in Frankfurt ja fast nicht geben. Der Junge ist mittlerweile sehr genervt von mir. Aber „Dr. Hammer“ würde wenigstens niemals ein solches T-Shirt tragen, denn seine Eltern haben ihre Tassen im Schrank. Im Kindergarten meiner Tochter ist die Welt noch halbwegs in Ordnung.
„Auf Deinem Shirt stehen die Dinge, die Du gerne wärst. Nicht die Du bist. Was im Grunde völlig in Ordnung ist. Nur wir können alle lesen und Du bist nie ein Dreckstück gewesen. Anders als die anderen, also anders als man selbst“, singt Markus Wiebusch auf der Kettcar-Platte „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“. Das fiel mir mal wieder ein. Denn, liebe Eltern, aufgepasst: Es ist ja eine Sache, wenn ihr selbst behämmerte Sprüche-T-Shirts tragt. Aber bitte, lasst doch eure Kinder aus dem Spiel! Macht sie nicht zum Gespött, nur weil ihr Selbstfindungsprobleme habt. Kauft ihnen Comic-Shirts. Oder wegen mir auch noch einen „Ich liebe meinen Papa“-Pullover. Das stimmt ja auch vollends. Aber macht nicht so einen Quatsch. Das ist für keinen Beteiligten gut und Sinn stiftend. Sogar eine Art Missbrauch der ganz besonderen, weil subtilen und hinterhältigen, Art.
Aber wenn einer Kraft hat, dann ist das mein Sohn. Der hebt bereits jetzt schon die schwersten Essiggurkengläser mit einer Hand aus der Schublade und schiebt die größten Pflanzenkübel quer durch den Wohnbereich. Wir fragen uns manchmal von wem er das hat. Von mir sicherlich nicht. Und von meinem Vater auch nicht. Das läuft bei uns ganz anders als bei der Familie Skywalker. Nur mein Großvater väterlicherseits, Opa Karl, der war früher bei den sogenannten Athleten und stemmte nach seinem Bäckerfeierabend gerne Gewichte in der Gaststätte „Zum Engländer“. Opa Karl war sicherlich einer der stärksten Männer des Dorfs. Mit Fug und Recht könnte ich deshalb ein Shirt mit dem Spruch „Mein Sohn und mein Großvater sind stärker als deine“ tragen. Mache ich das? Eben nicht. Aber ich hätte zumindest allen Grund dazu!
Bruno und ich hören Herrenmagazin „Das wird alles einmal Dir gehören“ (RAR/ Motor)