© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#13 Fastenzeit
Es ist Fastenzeit und wir haben uns vorgenommen auf etwas zu verzichten. Das ist ja auch wieder ein bisschen Trend. Ich trinke sechs Wochen keinen Alkohol. Das ist nicht einfach, denn ich trinke gerne Alkohol und vor allem gerne Bier. Ich finde Bier ist ein sehr leckeres Getränk. Meine Tochter verzichtet auch. Sie will sechs Wochen keine Gummibärchen essen. Für diesen Entschluss haben wir ihr noch nicht einmal den Arm auf den Rücken drehen müssen, damit kam sie freiwillig um die Ecke. Dafür großen Respekt. Sie ist erst viereinhalb. Am zweiten Tag der Fastenzeit betont sie nochmals ausdrücklich, dass sie wirklich keine Gummibärchen essen will. Eine Viertelstunde später stehen wir in der Küche und sie fragt mich: „Papa, darf ich ein paar Gummibärchen essen?“ Das mag ich an Kindern. Was interessiert mich mein Geschwätz von vor fünf Minuten? Ich mache einfach mal einen auf Franz Beckenbauer. Ich habe sie freundlich an ihren Vorsatz erinnert, da dämmert es ihr wieder. Einen Versuch war es allemal wert.
Auf dem Weg durch den Stadtteil mit Bruno fällt mir daraufhin ein Lied von Herbert Grönemeyer ein: „Kinder an die Macht“. Und ich denke mir, was für ein ausgegorener Schwachsinn ist denn eigentlich dieses Lied? Ich bin kein Grönemeyer-Fan und kein Grönemeyer-Gegner, Grönemeyer ist mir relativ egal. Ich bin jedoch seit längerer Zeit bereits der Ansicht, dass Grönemeyers Liedtexte häufig zunehmend angestrengter und bemühter wirken. Er mag privat und überhaupt ein feiner Kerl sein und das Leben war auch nicht immer gut und fair mit ihm, aber viele seiner neuen Lieder, die ich zufällig im Radio höre, sind mittlerweile kryptischer Bockmist ohne tiefere Wirkung. Finde ich. Da drehen jetzt wahrscheinlich die Grönemeyer-Anhänger durch und schimpfen lautstark. Das macht allerdings nichts, denn in der Regel sind Grönemeyer-Anhänger eh nicht meine engsten Freunde und richtig durchdrehen können die glaube ich auch nicht. Die werden höchstens mal richtig sauer und müssen dann im Wald spazieren gehen. „Kinder an die Macht“ ist aber weder kryptisch noch angestrengt, es ist schlichtweg hanebüchen.
Ich kenne keinen Vater oder Mutter, die so einen Quatsch fordern würde. Das ist wie die Parole „Punker an die Macht“ oder „Faulenzer an die Macht“ oder „Egozentriker an die Macht“. Und damit sage ich nicht, dass ich der Ansicht bin, Kinder seien faul oder Punker. Ich nenne nur verschiedene, abwegige Zielgruppen, die allesamt nicht miteinander verbrüdert oder verschwägert sind. Kinder sind etwas ganz Wunderbares, das letzte, was ich ihnen jedoch zusprechen würde, wäre der Faktor Macht. Am Rande: Ich mag auch Punker, die alltäglichen Geschicke lasse ich allerdings doch lieber von jemand anderem lenken. Hätte meine Tochter Entscheidungsgewalt, dann wäre unser Haus höchstwahrscheinlich rosa gestrichen, es gäbe jeden Tag Wraps und hinterher Pfannkuchen und an keinem Tag wären wir nur annähernd pünktlich. Egal wo. Und am Folgetag würde sie dann alles orange pinseln, weil rosa doch wieder kacke ist.
Meine Tochter agiert am besten, wenn wir ihr zwei Optionen geben. Dann hat sie das Gefühl, sie hat entschieden und die Wahl endet nicht im völligen Fiasko. Das hat meine Frau entwickelt, denn die hat manchmal nicht nur fiese (siehe auch #11), sondern auch gute pädagogische Tricks drauf. Die Wahloptionen geben wir vor. Manchmal vergesse ich das nur leider und dann ist wieder heilloses Durcheinander. Aber sonst funktioniert es. Ich weiß allerdings gar nicht, was Herrn Grönemeyer beim Texten geritten hat. Dieser Song ist fürchterlich anbiedernd, einfältig, naiv und überhaupt kein guter pädagogischer Trick. War er beim Schreiben betrunken oder nie zu Hause? Oder ist das mal wieder ein Hirngespinst aus straight-alternativen Kreisen, das ihn zu diesem Schwachsinn trieb. Wahrscheinlich letzteres. Ich habe mal recherchiert: 1986 kam die Platte mit diesem Quatsch raus, ein Jahr später wurde er zum ersten Mal Vater. Ich werfe mal in den Raum: Wäre sein erstes Kind 1983 geboren, den Song „Kinder an die Macht“ hätte es nie gegeben. Manchmal kann ich die Welt teilen: In Eltern und Nicht-Eltern! Die dümmsten Ideen zu Kindern haben stellenweise die Menschen ohne Kinder. Ich nehme mich da ausdrücklich mit an Bord. Denn ich hatte früher auch eine Menge blödsinniger Vorstellungen, die ich mittlerweile zu einem großen Teil verworfen habe.
Jetzt bin ich aber immer wieder mit manchen hirnrissigen Auswüchsen konfrontiert: Ich war mit meiner Tochter Ende des vergangenen Jahres in so einem Super-Öko-Schuhladen, da meinte die Verkäuferin plötzlich, auch meiner Tochter – völlig frei Schnauze und ungefragt – die gleiche Entscheidungskompetenz zusprechen zu müssen wie mir. Ich habe die Verkäuferin nicht zu dieser Haltung motiviert. Sogar als ich mehrfach intervenierte und sagte, meine Tochter brauche kein zweites Paar Winterstiefel, sie habe bereits ein Paar zuhause stehen, stärkte sie immer noch meiner bereits völlig in Rage befindlichen Tochter den Rücken. „Wenn sie ihr doch gefallen, sie hat sie sich doch ausgesucht …“ Meine Tochter stand kurz vor dem endgültigen Austicken und die Tante Öko-Schuh macht einen auf Summerhill. Ja, Herr im Himmel, das passiert, wenn zuhause zu häufig „Kinder an die Macht“ gehört wurde. Völlig verblendete Sicht auf die Realität und mir dann noch ein schlechtes Gewissen machen. Die Scherben müssen dann wieder wir Eltern aufkehren. Ich habe zu diesem Thema noch eine ganze Menge zu sagen, das hebe ich mir aber für später auf. Puuh, jetzt habe ich mich ja richtig in Rage geschrieben. Da bräuchte ich gerade mal ein Bier. Manchmal fällt Fasten wirklich verdammt schwer. Wenigstens sind noch die Gummibärchen meiner Tochter im Haus.
Bruno und ich hören: NOFX „White Trash, Two Heebs and a Bean (Epitaph)