© Ralph Russmann
Neverending Vatertag #30: Seitfallzieher
Am Samstag war ich das erste Mal mit meiner Tochter im Stadion. Das war ein sehr großer Moment für mich als Vater. Und für mich als Anhänger von Eintracht Frankfurt. Nach Geburt, Taufe, dem ersten Geburtstag und dem ersten Weihnachtsfest ein entscheidender Meilenstein in unserem gemeinsamen Leben. Weit vor dem ersten Besuch einer Apfelweingaststätte einzuordnen. Ich war mit meinem Vater in meinem ganzen Leben nie im Stadion. Und auch nur ganz selten in Apfelweingaststätten. Dafür stand ich hinter Ivan Lendl und sah in der Festhalle Michael Westphals Davis-Cup Drama. Nur mal so. Fällt mir gerade ein. Hanni wollte unbedingt hin. Also ins Stadion. Es war kein Trick von mir. Ich habe es nur ein wenig forciert. Als ich sie kurz vorher allerdings fragte, ob sie sich immer noch freue, sagte sie „Ja, wenn es nicht so lange dauert“. Puh. Das kann ja was werden. An den 90 Minuten kann ich jetzt schlecht rütteln.
Sie war nicht allein. Es kamen noch vier Freunde von ihr mit. Das machte die Sache für Hanni erst richtig spannend. Und für mich erst richtig entspannend. Deren Väter waren nämlich auch dabei. Ich nehme mal das Ende vorweg: Für Hanni war an diesem Tagesausflug alles drum herum aufregender, als das eigentliche Spiel. Obwohl sie auch das mit großer Würde über sich ergehen ließ. Aber An-und Abreise! Das war die eigentliche Nummer des Tages. Wir fuhren alles, was der ÖPNV in seinen Bahnhöfen und Garagen stehen hat: U-Bahn, Straßenbahn, S-Bahn und Bus. Wir liefen am Hauptbahnhof über vollgepinkelte Treppen und vorbei an kaputten Typen. Das war ein Abenteuer. Wir kauften hinterher Hot Dogs und rannten dann wie die Wilden an der Schnellstraße entlang, nur um unsere Anschlüsse zu bekommen. Hanni auf meinen Schultern! Was für eine verrückte Nummer. Für solche Aktionen werden wir Väter geboren! In der S-Bahn marschierten sie zu fünft an das hinterste Ende des Waggons, nur um bloß nicht bei den Eltern sitzen zu müssen, einer leckte gar voller Euphorie an der Scheibe und im Stadion bekamen wir von einem der oberen Ränge zweimal volle Bierbecher ins Kreuz geworfen. Wenn das mal nichts ist.
Ich musste während des Spiels viele Fragen beantworten. Nur ganz wenige davon hatten etwas mit dem Spiel zu tun. Hanni erklärte mir gleich zu Beginn, dass die Anzeige über der Spielfeldmitte ja richtig gut wäre, denn da müsse sie gar nicht auf das Spiel schauen, sondern würde sofort dort sehen, wenn ein Tor fällt. Das ist auch eine Variante. Hatte ich so auch noch nicht auf dem Schirm. Es war wirklich kein gutes Spiel, aber eine ungemein dramatische und spannende Partie. Die Eintracht gewann in der letzten Minute durch einen spektakulären Seitfallzieher. Und das in Unterzahl. Das Stadion stand Kopf. Nur Hanni wusste nicht so recht, warum ich sie bei 2:1 in die Höhe stemmte. Der Sohn meines Freundes war beim Führungstreffer der Eintracht übrigens gerade kacken. Auch das muss man als Vater erst einmal aushalten. Die Eintracht schießt das 1:0, während der Sohnemann auf der Fantoilette Einen rausdrückt. Ich bin ehrlich: Eigentlich dachte ich, mir passiert das mit Hanni. Aber sie hielt eisern durch. Danke! Selbst das Bier ertrug sie ohne größeres Drama. Eher mit viel Groll auf den Typen über uns!
Ich befürchte, Hanni weiß in gut drei Wochen nicht mehr genau, wie das Spiel ausging. Sie kann jetzt noch nicht mal sagen, wer das Siegtor schoss, noch irgendeinen Spieler der Eintracht namentlich benennen. Aber sie weiß noch, dass sie zwei Bierbecher abbekommen hat, dass es Hot Dogs gab und dass die Treppen um den Hauptbahnhof rum wirklich allesamt fies stinken. Obwohl: Gestern saß Hanni mit Bruno in ihrem Zimmer und trainierte lautstark mit ihm „Schwarz-Weiß-Rot, das sind unsere Farben!“. Dazu spielte sie Xylophon. Ich war den Tränen nahe. Kurz vor dem Zähneputzen musste ich ihr zum dritten Mal „Im Herzen von Europa“ vorsingen und heute sagte sie „Papa, das war der schönste Ausflug, den wir bisher gemacht haben.“ Ich glaube, es ist doch der Beginn einer großen Leidenschaft!
Bruno und ich hören: Weezer "Weezer (The Blue Album)" (Geffen)
Hanni und ich singen: Polizeichor Frankfurt "Im Herzen von Europa" (unbekanntes Label)