Foto: Till Benzin
VOCALS TREFFEN GITARRE
Und wieder hat es die FRIZZsche Glücksfee geschafft, eine spannende Paarung zu ziehen – denn die zwei Probanden hatten bislang trotz ihrer relativ präsenten Position in der heimischen Musikszene noch so überhaupt nichts miteinander zu tun. Auf der einen Seite Holger Stenger, auf der anderen Stefan Appel. Es ist Freitag, 17 Uhr, die Couch lädt zum Plausch. Es wird gut gekühltes Schlappeseppel gereicht.
Holger: Nur damit ihr’s wisst: Ich komm direkt aus dem Schlappeseppel …
Stefan: Na toll. Ich komm direkt aus dem Büro. Ist das fair?
H: Hey, das im Schlappeseppel war auch Arbeit!
S: Du meinst so wie bei den Asiaten? Die trinken ja bei Meetings auch immer ordentlich was weg …
H: Mit dem Unterschied, dass die Asiaten in der Regel nichts vertragen. Wobei, vielleicht machen sie gerade deswegen immer so gute Geschäfte …
FRIZZ (grätscht galant dazwischen): Traditionelle Einstiegsfrage: Kennt ihr euch?
H: Nein! Zumindest nicht bewusst.
S: Nein … (überlegt) … wobei: Ich glaub, ich hab dir kürzlich mal ’ne Mail geschrieben …
H: Da haste Pech. Die hab ich garantiert nicht gelesen (lacht)!
Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob Holger diese Mail bekommen hat und wie viele Leute in Aschaffenburg wohl Holger S. heißen. Keine abschließende Lösung, stattdessen wird aber mindestens drei Mal „Prost!“ gesagt.
Wie wurde aus Holger Stenger eigentlich Joe Schocker?
H: Joe Schocker hatte ursprünglich überhaupt nichts mit Joe Cocker zu tun. Seit meiner Jugendzeit wurde ich von einigen Leuten mit dem Spitznamen Joe bedacht. Und „Schocker“ stammt aus meiner Hamburger Zeit in Anlehnung an eine dortige Band, die ich ziemlich geil fand. Die Musik von Joe Cocker fand ich anfangs überhaupt nicht so toll …
S: … geht mir heute noch so.
H (lacht): Ich hatte damals ’ne Combo, die hieß Sixpack. Da haben wir als Zugabe immer „With a little Help from my Friends“ gespielt. Irgendwann haben die Leute mehr von Joe Cocker verlangt. Dann kam auch noch Felix Scheuerpflug (Künstlermanager & Konzertveranstalter, Anm. d. Red.), der mir gesagt hat, dass er mich mit einem reinen Cocker-Tribute-Set als Support von Elton John platzieren möchte. Ich hab erst geglaubt, der will mich verarschen. Trotz allem habe ich aber auch immer eigene Sachen gemacht, das lief dann unter dem Namen Boxer.
Wie war das bei dir, Stefan?
S: Ich komme überhaupt nicht aus der Coverszene und hätte mir das auch nicht vorstellen können. Ich hatte schon immer den Antrieb, eigene Sachen zu machen, was ja unter anderem mit Illectronic Rock super funktioniert. Dead Energy ist dann tatsächlich aus einer reinen Partylaune heraus entstanden. Ich war mit Robert Schwarze (die andere Hälfte von Dead Energy, Anm. d. Red.) im Ibiza-Cluburlaub. Da lief jeden Tag Techno-Mucke in Vollbeschallung. Wir haben dann irgendwann mal mit einer Westerngitarre und kruden Popsongs an der Poolbar dagegengehalten. Und die Leute haben das total abgefeiert. Das war der Startschuss – wenn auch so gar nicht gewollt …
H: Das mit dem Covern hat vielleicht auch was mit dem Alter zu tun. In meiner ersten Band wollten wir noch mit sozialkritischen Texten die Welt verändern. Drei Instrumente und ein Mikro in einer Marshall-Box und los ging’s.
S: Haha, das war bei uns anfangs ganz genau so. So hat’s dann aber auch geklungen …
H: Stimmt! Am Anfang war ich auch gar nicht der Frontmann, sondern Basser. Dann hab ich irgendwann mit der Gitarre Straßenmusik gemacht und gemerkt, dass es sehr gut kommt, wenn du mit deinem Publikum direkt kommunizierst. Das mit dem Geld verdienen kam dann automatisch dazu.
S: Da geb’ ich dir absolut recht. Kommunikation ist alles! Da können wir uns bei Dead Energy halt auch perfekt austoben. Inzwischen basiert eigentlich unsere komplette Show auf der Interaktion mit den Zuschauern. Das macht total Spaß!
H: Seid ihr das mit diesen abgefahrenen Medleys? Doch, doch, dann hab ich euch sogar schon mal gesehen. Fand ich gut, hat mir gefallen!
Während der FRIZZ (nicht zum letzten Mal) Nachschub in flüssiger Form holt, geht die Diskussion über den Stellenwert der Publikumsansprache weiter. Holger erzählt aus seinen Anfangstagen als Frontmann, als er zu schüchtern für Ansagen war und maximal zehn Wörter mit den Zuschauern sprach. Zudem bringt er die Anekdote, als er vor dem Elton-John-Gig vor lauter Aufregung den Backstagebereich vollgekotzt hat. Um seine Theorie von der Wirkung der Interaktion zu untermauern, hat er plötzlich eine Idee …
H: Ich schwöre dir: Wir beide gehen in die Fußgängerzone und spielen spontan, was uns einfällt. Das würde garantiert funktionieren!
S: Auf geht’s – ich bin dabei (kurze Stille, dann großes Gelächter)! Wobei das mit der Improvisation so eine Sache ist. Es gibt immer noch viel zu viele Leute, denen es am liebsten ist, wenn es live genau so klingt wie auf Platte – das finde ich furchtbar.
H: Ich befürchte, du hast Recht. Wobei covern nicht per se schlecht ist.
S: Ich bin da auch voreingenommen und reagiere auf reine Coverbands nach wie vor ein bisschen allergisch. Liegt auch daran, dass ich jahrelang Scheiße fressen musste und es eine Ochsentour war, die Leute von deinem eigenen Zeug zu überzeugen. Ich sag’s mal bewusst provokativ: Für mich waren Covermucker lange Zeit diejenigen, die zu faul für eigenes Zeug waren. Dead Energy sehe ich da übrigens mehr als ein Comedy- als ein Coverprojekt. Wir überspitzen das Covern bewusst.
H: … würde ich so unterschreiben. Weil ich beide Seiten kenne.
S: Dazu kommt noch, dass ich nie von der Musik leben musste.
H: Ich schon, ich bin quasi ein Teilzeit-Berufsmusiker …
S: … deswegen kommst du aus dem Schlapp und ich aus dem Büro.
H: Erfasst (lacht)!
S: Aber im Ernst: Würde es bei Dead Energy die Medleys nicht geben, bei denen wir von den Wildecker Herzbuben bis Rammstein alles verwursten, würde es auch die Band nicht mehr geben. Und obwohl Dead Energy für mich Comedy ist, sind die Nummern musikalisch extrem aufwändig ausgecheckt. Das ist die Kreativleistung, die ich bei vielen Coverbands vermisse.
Gedankenspiel: Gleiche Zeit, gleicher Ort, aber mit dem Know-how von heute – würdet ihr irgendetwas anders machen, wenn ihr nochmal anfangen müsstet oder dürftet?
H: Das ist ’ne sackschwere Frage (überlegt)! Hm, ich würde es eigentlich genauso bescheuert und dämlich machen wie heute. Außer, dass ich mir etwas genauer überlegen würde, bei wem ich das Maul aufreiße und bei wem ich lieber etwas zurückhaltender wäre.
S: Im Prinzip finde ich meinen Werdegang komplett cool und ich würde auf jeden Fall wieder den Fokus auf eigene Musik legen. Nur meine Ziele würde ich anders stecken. Ich habe rückblickend zu viel Zeit und Energie investiert, um dem ominösen Plattenvertrag hinterherzujagen. Dann hatten wir ihn und es war ernüchternd. Lieber die heutigen Möglichkeiten nutzen und auch die ganze Veröffentlichungskiste als eigenes Ding aufziehen.
H: Die Erfahrung hab ich mit Boxer und einem Major-Label auch gemacht.
Fazit?
H: Ich gehe jetzt wieder in den Schlappeseppel und nehme den Kollegen hier, der ’ne Stunde für seine Frisur braucht, direkt mit!
Den meisten ist Holger Stenger als authentisches Joe-Cocker-Tribute Joe Schocker bekannt – der Stimme sei Dank. Doch auch eigene Musik hat Stenger schon immer gemacht. Unter anderem teilte er sich schon mit Elton John, Whitney Houston und Eros Ramazzotti die Bühne. Doch nicht nur durch die Musik ist Holger Stenger bekannt wie ein bunter Hund: Auch als Geschäftsmann und Vorstandsmitglied der Aschaffenburger Viktoria steht er regelmäßig in der Öffentlichkeit.
Der Gitarrist Stefan Appel kann auf zahlreiche Projekte zurückblicken, mit denen er ursprünglich ausschließlich eigene Musik gemacht hat. Ging es mit Blank Page in die progressive Richtung, agiert Illectronic Rock als Pionier im Bereich von hartem Rock mit elektronischen Einschlägen. Zusammen mit Illectronic-Rock-Frontmann Robert Schwarze gründete Stefan Appel Dead Energy. Das Duo hat es mit ebenso kruden wie genialen Pop-Cover--Comedy-Medleys zur hiesigen Kultband gebracht.