Foto:Till Benzin
VON EROTISCHEN FANTASIEN IN DER Q-BAR
Wo ein Milchmädchen, dort eine Kuschelparty. Reichlich Pressack bereitstellen und mit Whisky löschen. Tigerlilly und Strickliesel einladen, schon kann es losgehen mit dem Rosenkrieg oder den Sternstunden: Wenn sich derartige Wortschöpfungen in Ascheberscher Gehörgänge graben, dann können die Main-Reimer nicht weit sein. Allerdings lädt die Truppe nicht zur nächsten Poesie à la carte-Lesung, sondern kredenzt Heimatverbundenen ihr erstes Prosa-Werk mit dem vielversprechenden Titel „Einstein im Gully“. Und schon wird im Café Krem gemordet und im Dead End gethrillert …
Wer Lyrik kann, kann bestimmt auch Prosa: Nach dreijähriger Tüftelei hat Einstein nicht nur Einzug im Gully, sondern auch in die lokalen Buchläden gehalten, Mission: „Spiegel-Bestsellerliste Platz eins – mindestens!“ 160 Seiten stark ist das Werk, das neun Geschichten beherbergt – zwei von Marion Marxen, drei von Alex Sonnentag sowie vier von Michael Seiterle. Allen Texten ist eines gemein: Die Handlung ist am ersten August-Wochenende angesiedelt, es regnet in Strömen und eine Aschaffenburger Kneipe ist Ort des Geschehens oder beeinflusst den Verlauf zumindest maßgeblich. Zusätzlich konnten vorher festgelegte Ereignisse wie die Absage des Wochenmarkts aufgrund von Schädlingsbefall oder die Geburt von Fünflingen im Klinikum verwendet werden. So entwickelt sich ein Klassentreffen im Einstein flugs zum gruseligen Gruß aus dem Reich der Toten oder die Q-Bar regt zu erotischen Fantasien an … Das Besondere: Alle Texte wurden nachträglich von den Autoren vernetzt. Einstein, Café Krem, Gully, Hannebambel, Q-Bar, Domus, Weinstube Kitz, Casino, sowie Dead End sind die Locations, die zu Tatorten mutieren: „Wir wollten uns schon lange den Aschaffenburger Kneipen widmen,“ erklärt Michael Seiterle. Der erste Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Dichtung am Untermain e. V. hat nicht nur die meisten Erzählungen zum Buch beigesteuert, sondern ist auch Gründungsmitglied des circa 40 Mitglieder zählenden Vereins: „2004 haben wir aus einer Bierlaune heraus beschlossen, etwas Neues auf die Beine zu stellen. Poesie aus vergilbten Lyrikbänden heraus ins Leben zu bewegen war das Ziel,“ erläutert der 35-Jährige, der Tourismusmanagement sowie VWL studiert hat.
Ort des Geschehens war damals das Obernburger Bistro Kult, das mit einem Aquarium im Keller aufwarten konnte. Kein Wunder, dass das erste Thema „Fischgericht“ lautete. Eine Woche später traf sich die Truppe wieder – mittlerweile hat sich das Konzept der „als einzelne Worte geborenen Themen“ derartig bewährt, dass sich der Literarische Zirkel seit knapp zehn Jahren regelmäßig alle zwei bis drei Wochen in rotierender Besetzung trifft. Nach wie vor gibt dann ein Mitglied ein Thema vor – ungefähr 20 werden jährlich bearbeitet, „bedichtet werden kann nahezu alles.“ Ausgefallene Kompositionen sind kein Muss, aber reizvoll – betextet wurden schon „Mumienpornographie“ oder „Samenspende“ –
aber auch die „Strickliesel“ kam nicht zu kurz. „Einem Reim- oder Rhythmuszwang unterwerfen wir uns aber nie,“ erklärt der Geschäftsführer des Tourismusverbands Spessart-Mainland. Seit 2010 sind die Werke des Zirkels auf CD erhältlich, die auch bei den Kulturtagen zu haben ist. Dann offerieren die Main-Reimer nämlich Lesungsquickies im Cafè Krem. „Zudem bieten wir lyrische Projekte an Schulen an und freuen uns jederzeit über Zuwachs!“ Doch vorerst stehen „Einstein“-Lesungen im Fokus, vielleicht sogar in einigen der neun Locations – schließlich sind „auch im virtuellen Zeitalter Kneipen Orte echter sozialer Begegnung geblieben.“
Fünf Fragen
1. Wem wirst du ewig dankbar sein? Meiner Schwiegermutter.
2. Worüber kannst du laut lachen? Dabrauchemergarnetdrübberredde!
3. Was treibt dich zur Verzweiflung? IKEA-Möbel!
4. Was ist dir überaus peinlich? Zu sagen, was mir überaus peinlich ist.
5. Welchen Traum willst du dir noch erfüllen? Mit dem ÖPNV von Aschaffenburg nach Sydney zu reisen.
„Einstein im Gully. Aschaffenburger Kneipengeschichten“, Marion Marxen, Michael Seiterle & Alex Sonnentag, Alibri Verlag 2013, ca. 160 Seiten, 12 Euro