©pixabay.com
Cowboy
Fasching. Mal wieder. Scheiß Fasching. Wie ich es hasse. Diese aufgesetzte Fröhlichkeit. Dieses falsche Glück. Mal fünfe gerade sein lassen. Aus dem Alltag ausbrechen. Die Tristesse des Normalen mit Tröten und Humtata hinter sich lassen … Ich muss kotzen! Dieses Mal wird alles anders. Dieses Mal lasse ich mich nicht mitziehen. Nicht von den Jungs. Nicht von Helga und ihren Mädels und schon gar nicht von Essi und Hille. Dieses Mal wird wirklich alles anders.
Rüdiger schaut grimmig in seinen Schoß. Dort liegt er. Wie kalt und doch irgendwie weich. Wie geschmeidig und hart sich das Metall an seine Hände schmiegt. Wie viel Ruhe es ausstrahlt. Sicherheit. Macht. Die Macht, die Dinge zu verändern. Die Macht, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Die Macht, die Fäden durchzuschneiden.
Aus dem Flur dringt Musik zu ihm. Adelheid verschenkt Gartenzwerge. Dazu juchzen mittelalte Stimmen, die schon lange keine Leidenschaft mehr in ihrem Timbre mitschwingen lassen, sondern nur Verbrauchtheit, Verwelken, das Nahen des Todes. Für das Rosenbeet. Mit ’ner Zipfelmütze.
Helga mit ihren Mädels. Sie glühen vor. Wie widerlich. Discounter-Prosecco, Baileys und krachende Cracker, die in den fast schon Dritten umhaucht von gelebtem Leben einen schlimmen Tod finden. Jaja, die Karawane zieht weiter! Wenn ihr doch nur ziehen würdet. Geht doch! Geht auf diese vermaledeiten Bälle. Die Sitzungen, wo drei Flaschen Spritzbrause selbst das Unwitzigste noch zum Schenkelklopfer werden lassen. Wolle mer se reilasse! Zieht weiter! Zieht für immer! Aber zieht ohne mich!
„Ach – unser kleiner Faschingsmuffel! Den kriegen wir schon wieder hin. Ich kenne doch meinen Rüdiger. Den werde ich schon auf Kurs bringen. Wir Frauen haben da doch schon unsere Waffen, was, Mädels? Letztes Jahr war er dann auch gut drauf.“
„Naja, aber dann hat er dem Tanzmariechen ins Dekolleté gekotzt!“
„Egal. Lasst mich nur machen, Mädels. Und jetzt hoch die Tassen!“
Ich will da nicht hin. Ich gehe da nicht mit. Seit über 25 Jahren schleift sie mich mit auf diese Bälle, diese Züge, diese Sitzungen, wo minderbemittelte Wilde auf Stühlen schwanken, schwachsinnige Lieder singen und so tun, als sei die Welt in Ordnung. Ma hat mer Glück, ma hat mer Pech, Mahatma Ghandi! Dieses Mal gehe ich da nicht hin mit diesen verblödeten, kichernden, zugedröhnten Frauen … dieses Mal nicht. Nur über meine Leiche. Oder über ihre …
„Also, Simone, deine Verkleidung als Jennifer Aniston ist aber auch wieder fantastisch! Superklasse! Genial! Ich freue mich so auf den Fasching.“
„Als was geht denn Rüdiger? Rüdilein? Rüüüdileeeein! Kommst du? Komm feier doch noch ein bisschen mit uns. Gleich geht es los. Das wird noch lustiger als in den letzten Jahren!“
Letztes Jahr bist du mit deinem Presswurst-Meerjungfrauen-Kostüm in die Bowle gekracht und hast dann die ganze Zeit dem Polizeichef das Ohr angesabbert und wolltest dich unbedingt von ihm verhaften und in Handschellen legen lassen. Warum können die nicht einfach akzeptieren, dass man nicht auf Krampf lustig sein muss? Jetzt kommt es gleich: Spielverderber. Spaßbremse. Geh doch mal aus dir raus.
„Rüüüdileein! Ach komm schon. Verkriech dich doch nicht wieder in deinem Arbeitszimmer. Sei doch kein Spielverderber! Fasching ist doch nur einmal im Jahr. Vivaaa Coloniaaaa! Du musst doch auch einmal aus dir rausgehen, du Spaßbremse. Einmal im Jahr. Komm schon. Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust …!“
Die Lust. Ist es das? Ist Fasching nur Suff, Sex und Sorglosigkeit? 360 Tage lang Spießer und angepasst und dann fünf Tage lang auf Kommando programmierte, inszenierte Anarchie. Meinetwegen. Jeder weiß, dass Simone vor fünf Jahren mit Hille im Backstagebereich … und vor 15 Jahren mit diesen beiden als Maul- und Klauenseuche verkleideten Typen unter der Bar …
und letztes Jahr hat Sybille mit Klaus auf der Toilette …oh Mann. Und an den Gerüchten von Helga und Essi … Scheiße. Scheiß Fasching.
Das Metall ist so schön. Wie sich das anfühlt. Ein Klick. Fupp. Klick. Fupp. Klick. Fupp. Dann wäre Ruhe. Nicole, Helga und Sybille. Endlich Ruhe. Kein Sultan mehr, der Durst hat. Kein Indianer mehr mit Lasso. Nur noch ein Cowboy. Fupp. Fupp. Fupp. Und dann ewige Ruhe. Ihr ruht in Frieden und ich habe meine Ruhe.
„Auf geht’s Mädels. Nich’ lang schnacken, Kopf in Nacken. Und dann geht es ab! Ne superjeile Zick! Okay, okay, einmal noch: Jetzt geht sie los, unsere Polonaise …“
Gleich werden sie mich holen. Mich ankichern mit ihren Proseccofahnen. Nun hab dich doch nicht so. Du Spießer. Mensch, es ist doch Fasching. Dabei will ich doch nur meine Ruhe. Dieses Metall. Das liegt so gut in der Hand. Als ob es ein Teil von mir wäre. Ein Teil meiner Hand. Ein Teil meines Herzens. Ein Teil meiner Träume. Fupp. Wie das wohl aussieht? Das ganze Rot auf unserem Teppich. Und wie sie schreien werden. Die anderen. Bevor es noch einmal Fupp macht. Und dann noch einmal. Und dann Ruhe.
„Hey, heeeeeeeeey Baby! I wonna knowohohohou, would you be my Girl?“
Ruhe. Fupp. Fupp. Fupp. Dieses glatte Metall. Dieses Mal muss es sein. Kein Ufftauffta mehr. Kein Helau. Keine Raketen. Kein Konfetti. Dieses Mal fällt Fasching aus. Für mich. Und für die.
Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür, und ich weiß er bleibt hier.
„Ich geh mal den Rüdi holen, Mädels!“
Gleich kommt sie. 25 Jahre Ehe. 25 Mal Fasching, den ich nicht wollte. Es reicht. Wie geschmeidig das Metall in der Hand liegt. Ich muss es nur auf die Tür richten. Gleicht geht sie auf.
„Rüdi! Rüdilein. Auf geht’s. Stürzen wir uns in das Leben! It’s Partytime!“
Atemlos! Durch die Nacht!
„Ahh – super Rüdi. Du hast ja schon dein Cowboykostüm angezogen. Mensch – aus dir wird ja noch auf deine alten Tage ein richtiger Faschingsnarr! Und den Spielzeugrevolver hast du auch gefunden. Na dann kann es ja losgehen!“
Die Hände zum Himmel – komm lass uns fröhlich sein.
Fupp.